Anif/Kitzbühel. Bereits früh am Morgen ist Nicole Leitner unterwegs. Als oberste Salzburger Seminarbäuerin mit einem eigenen Hof in Anif warten täglich unzählige Aufgaben auf die vierfache Mutter. Und doch nimmt sie sich gerne Zeit, um mit uns über das Erntedankfest zu reden. Für die Bauernschaft sei es so wichtig, diesen Brauch im Herbst zu leben, aus Dankbarkeit für das Wachsen und Gedeihen. „Wir feiern gemeinsam mit der Kirche, um für die Ernte zu danken, bevor die Natur dann schlafen geht. Die Verbindung mit dem Glauben ist so schön. Wir brauchen einen guten Boden, wir brauchen ein gutes Korn, aber auch die Sonne, die Wärme und den Regen, all diese Geschenke der Schöpfung, damit daraus Fruchtbares entsteht.“
Persönlich lebe sie diese Dankbarkeit nicht nur im Herbst, sondern das ganze Jahr über. „Ich mache mir dies immer bewusst, wenn wir das Heu gut heimbringen, wenn eine Pflanze aufgegangen ist, wenn wir ohne Unwetter und ohne gröbere Verluste durchgekommen sind. Das ist für mich in erster Linie Erntedank.“
Wie das Erntedankfest von Mitte September bis Anfang Oktober in der ganzen Erzdiözese gefeiert wird, sei regional unterschiedlich. Begleitet von geschmückten Wägen, ziehen Prozessionen durch die Orte. Kunstvoll gestaltete Erntedankkronen sind allerorts ein fixer Bestandteil. „Wenn das Wetter passt, gehen wir in Anif auf die Felder hinaus mit der Erntedankkrone, die von den Bäuerinnen gebunden wird“, erzählt Nicole Leitner. Die Gestaltung der Krone sei von Region zu Region verschieden. „In Anif nehmen wir normalerweise nur Getreide. Die drei wichtigsten Sorten sind Hafer, Weizen und Gerste.“
Nur wenige Kilometer weiter, in Niederalm, zieren Blumen und Maiskolben die Krone. Im Innergebirg kommen auch Latschen dazu, um den Bezug zu den Almen herzustellen. „Was letztendlich in die Erntedankkrone eingearbeitet wird, hängt davon ab, wie gut oder schlecht die Ernte ausgefallen ist.“ Heuer sei es kein gutes Jahr für den Hafer gewesen. „Er ist schon ziemlich grau. Es kann passieren, dass wir in diesem Jahr Grünzeug und Sonnenblumen dazu nehmen müssen.“
Das traditionelle Volksfest wird auch in den Kitzbüheler Alpen gebührend gefeiert. Rosemarie Gasteiger (im Bild unten) ist bekannt als Glockenspielerin und Hahnenkammbäuerin. Ihr Bauernhaus liegt über der Gamsstadt, direkt am Ganslernhang. Bereits in dritter Generation wird der Hohenegghof von ihrer Familie bewirtschaftet. Brauchtum hat hier einen großen Stellenwert. Der Erntedank wird würdevoll begangen.
Ähnlich wie in Salzburg binden die Bäuerinnen im Tiroler Unterland eine Erntedankkrone. „Seit ich mich erinnern kann, kümmert sich die Jungbauernschaft um alles rund um das Fest. Sei es das Binden der Krone, das Darbringen von Gaben in Form von Brot und Wein, das Gestalten der Messe in der Kirche, das Aufsagen von Sprüchen. Ein Umzug zieht von der Katharinenkirche zur Pfarrkirche St. Andreas.“ Die Erntedankkrone wird bestückt mit Früchten, Kräuterbuschen, Getreide und Maiskolben. „Die Krone steht dann einige Wochen in der Kirche“, weiß die Bäuerin.
Wie die Salzburger Bäuerin Nicole Leitner feiert auch die Kitzbühelerin den Erntedank nicht nur im Herbst. „Ich muss mein Gemüse im Winter genauso ehrfürchtig aus der Gefriertruhe holen und die fermentierten Früchte geben uns immer Nahrung. Ich bin im Frühling dankbar, dass wieder alles wächst, dass der Schnee schmilzt und die Pflanzen sprießen. Ich schaue dann zum Himmel und sage danke.“ Speziell zum Erntedankfest gibt es bei den Gasteigers einen guten Braten mit Krautsalat. Tochter Rosi bäckt Brot mit getrockneten Tomaten. Die Söhne Christopher und Benjamin musizieren mit Horn und Posaune.
„Wir haben eine Hausbibel von der Großmutter. Daraus lesen wir den Vers zum Erntedank“, erzählt sie und blickt zufrieden hinaus auf die fruchtbaren Felder, die sich in den Farben des Herbstes nun langsam zur Ruhe begeben.
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