Erzählt Natalya von Ereignissen vor dem 24. Februar 2022, so spricht sie von der Zeit „vor dem Krieg“. Weihnachten war in ihrer Familie stets großgeschrieben. „Wir fasten normalerweise 40 Tage lang. Während dieses Krippenfastens gibt es kein Fleisch und keine Milchprodukte. Jeden Samstag und Sonntag gehen wir in die Kirche. So bereiten wir uns spirituell auf die Geburt Christi vor.“ Zum Fest sei dann ihr Haus immer voll gewesen. „Ich habe gefüllten Fisch, Kohlrouladen sowie Auberginenkaviar serviert und bei uns auf dem Markt die beste hausgemachte Wurst eingekauft.“ Die Familie habe gesungen, getrunken, gegessen, Geschenke ausgetauscht und die Gesellschaft der anderen genossen. „Wenn die Gäste nach Hause gingen, hat jeder die Reste seines Lieblingsgerichts mitgenommen“, erinnert sich Natalya. „Der Krieg“, sagt sie „hat alles verändert.“
Natalya musste mit einer schweren Verletzung aus der Ukraine nach Salzburg flüchten. Ihre Lieben blieben zurück. Weihnachten vor einem Jahr habe ihre älteste Tochter Anna angerufen. „Unter Tränen hat sie mir erzählt, sie sei in mein leeres Haus gefahren. Mama, hat sie geschluchzt, zu Weihnachten muss es hier doch laut und fröhlich sein.“
Die Titovas sind kein Einzelfall. Viele Familien hat der Krieg auseinandergerissen. Ihnen bleibt nur die Erinnerung und ein Videoanruf, um sich einander nahe zu fühlen.
Für Natalya war in Salzburg das Stricken „meine Rettung“. Sie hat sich der Aktion „Knitting for Peace“ (für den Frieden stricken) angeschlossen – einem Friedensprojekt für ukrainische Familien. „Wenn ich stricke, denke ich: Wer bekommt diese Decke einmal? Und wenn ich dann die Fotos von den dankbaren Empfängern sehe, möchte ich sofort wieder loslegen.“ Stricken helfe ihr, sich von den Sorgen um ihre Familie abzulenken. „Es ist wie eine Psychotherapie.“
Gründerin von „Knitting in Peace“ ist Angelika Gassner, Referentin für Resilienz und seelische Gesundheit in der Erzdiözese Salzburg. „Seit Mai 2022 haben wir mehr als 200 Decken ins Kriegsgebiet geschickt. Jede einzelne wurde mit Liebe gestrickt oder gehäkelt.“
Es sei gelungen, einige Ukrainerinnen mit einzubeziehen. „Ziel ist es, die Ohnmacht zu durchbrechen und die Hilflosigkeit durch praktisches Tun zu ersetzen. So stricken im oberösterreichischen Vorchdorf – „Knitting for Peace“ wirkt mittlerweile über die Diözesangrenzen hinaus – Ukrainerinnen aus dem Flüchtlingshaus mit Frauen vor Ort. „Daraus entstand ein wöchentlicher Austausch von Frauen verschiedener Kulturen und Erfahrungen“, berichtet die Initiatorin. Und: „Die Wolle geht nie aus. Es ist wie beim Brotwunder – immer wieder wird uns Wolle geschenkt“, sagt Angelika Gassner. Wobei ihre Hoffnung auf Frieden derzeit etwas angeknackst sei. „Machtkämpfe, Aggression und Gewalt scheinen vorherrschend.“ Aus dem Heiligen Abend schöpfe sie neue Zuversicht: „In dieser Nacht möchte ich für das Licht der Hoffnung ganz offen und durchlässig sein, damit es durch mich weiterleuchtet.“
Wie sehr gerade Kinder in der Ukraine unter den aktuellen Bedingungen leiden, erzählt Sr. Olexia Mariya Pogranychna. „Wenn sie nachts im Bett liegen, ertönt oft der Alarm. Immer besteht die Gefahr, dass eine Rakete einschlägt. Die Leute wissen nie, was morgen oder sogar heute passiert.“ Trotzdem werde auch heuer in Charkiw Weihnachten gefeiert. „Christus ist geboren, er ist derjenige, der uns Frieden bringt.“ Wenn die Ordensfrau der Kongregation der Schwestern vom hl. Josef in die zerstörten Dörfer fährt, hat sie die Decken aus Österreich mit dabei. Sie seien ein Zeichen der Solidarität.
„Ich möchte den Frauen danken. Sie ha-ben die Decken mit so viel Liebe und Sorgfalt hergestellt – für Menschen, die sie wahrscheinlich nie sehen werden. Die Wärme ihrer Herzen erwärmt auch unsere Herzen. Dank für die Liebe zum ukrainischen Volk. “
Wann und wo?
Gestrickt wird unter anderem für „Knitting for Peace“ in der Salzburger Stadtpfarre Lehen, Vinzenz-Pallotti-Platz 2, freitags, 14–16 Uhr.
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