Kardinal Hollerich gab Einblicke in Hintergründe der Synode in Rom und darüber, wie Papst Franziskus mit dem Prinzip der Synodalität die Kirche zukunftsfit machen möchte.
RB: Wie erleben Sie die Pastoralwoche der Erzdiözese Salzburg hier im Kloster St. Ottilien?
Kardinal Jean-Claude Hollerich: Ich finde es großartig, dass die Erzdiözese das Motto der Synodalität gewählt hat. Es gibt ja Bistümer, die dieses Thema fördern und andere, die nicht davon sprechen. In den kleinen Begegnungen, die ich hatte, habe ich eine sehr lebendige Ortskirche getroffen. Das macht mir Freude.
RB: Sie sind Generalrelator der Synode. Was müssen sich unsere Leserinnen und Leser darunter vorstellen? Jedenfalls müssen Sie viel lesen?
Hollerich: Ja, das stimmt (schmunzelt). Ich arbeite intensiv an der gesamten Vorbereitung zusammen mit dem Sekretär der Synode, Kardinal Mario Grech. Außerdem muss ich das Instrumentum laboris, das Arbeitsdokument für die Synode, erstellen und darin einführen. Ich bin der Vorsitzende des Rates für das Schlussdokument und ich bin auch dafür verantwortlich.
Keine Angst vor Spannungen. Sie sind normal und hilfreich.
RB: Was sind die Herausforderungen für einen Relator?
Hollerich: Zum Beispiel stand in der Erstfassung des Dokuments das Wort LGBTQ. Da aber einige Widerstände dagegen groß wurden, mussten wir, damit der Paragraf angenommen wird, den Begriff herausnehmen. Es wäre eine Katastrophe für die Kirche und die Menschen gewesen, die sich so definieren. Das hätte ja geheißen: Ihr seid aus dem Dokument hinausgeworfen worden. Deshalb habe ich den Begriff mit anderen Wörtern ersetzt. Dann wurde es angenommen.
RB: Kirche ist kein Parlament, aber auch keine Monarchie. Was ist die Synode?
Hollerich: Es ist eine Versammlung, die im gegenseitigen Zuhören dem Heiligen Geist zuhört und dann in die Richtung geht, die der Geist der Kirche zeigt.
RB: Was sind Kriterien, die erkennen lassen, dass der Heilige Geist am Wirken ist?
Hollerich: Es gab Freude in der Synode. Sie ist eine Frucht des Heiligen Geistes. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben sich in ihren Positionen bewegt – auch das ist ein Indiz dafür. Sie hatten am Ende nicht mehr die exakt gleiche Meinung wie vorher, sie bewegten sich aufeinander zu. Alle hatten dieselbe Redezeit, das hatten sie sehr positiv empfunden.
RB: Fehlt der Kirche die Freude?
Hollerich: Wir sind mehr Kirchgänger und Kirchgängerinnen als Christinnen und Christen. Das heißt: Ich nehme an einem Ritus teil. Da sind der Ort und die Zeit wichtig. Oft wichtiger als der Inhalt. Wir haben Menschen, die sehr treue Kirchgänger sind, solange die Messe zu der gewissen Zeit an dem bestimmten Ort ist. Es ist ihnen dann auch egal, wenn sie die einzigen sind, die dort sind.
Die persönliche Frömmigkeit ist sehr nachvollziehbar, nur fehlt der Gemeinschaftscharakter völlig. Es ist nicht meine Messe und mein Jesus. Richtige Freude im Heiligen Geist entsteht aber nur in Gemeinschaft.
Eine synodale Kirche braucht eine trinitarische Theologie. Synodalität, wenn man so will, ist bereits in der Dreifaltigkeit begründet. Da geht es immer um Gemeinschaft. Reformen nützen nichts, wenn das Herz der Menschen nicht Gott zugewandt ist. Viele haben ein völlig falsches Gottesbild. Es geht aber in dieser Gemeinschaft darum, herauszufinden, dass dieser Gott einer ist, der alle liebt und in ihren Herzen leben und präsent sein möchte. Wir brauchen diesen Gottesbezug, um Gemeinschaft wirklich aufbauen zu können.
RB: Wie können Menschen das in ihrem Glaubensleben erfahren?
Hollerich: Gott nimmt den Menschen vollkommen an. Er liebt uns auch, wenn wir Dummheiten und Schlechtes machen. Diese Liebe Gotte zu verstehen, gibt mir eine Sicherheit. Ich muss nichts mehr befürchten. Wenn Gott mich liebt, ist auch das ewige Leben gegeben. Ich kann den anderen nicht lieben, wenn dieser wieder verschwindet. Der Tod als die Negation der Liebe hat aber nicht das letzte Wort. Ohne Gott würde der Tod die Liebe vernichten. Gott möchte, dass wir in Ewigkeit leben. Dieses Leben beginnt schattenhaft bereits hier.
Die Freude am Leben ist, was Christen ausmachen soll. Darüber müssen wir reden. Mein Wort soll dem anderen helfen, seine Realität zu verstehen. Er hat vielleicht dasselbe erlebt wie ich, nur kann er es noch nicht deuten. Wenn mein Wort eine Deutung der eigenen Erfahrung wird, dann passiert etwas. Es gibt uns, weil Gott uns will. Es gibt keine Zufallsprodukte. Wenn ich von Gott gewollt bin, kann ich in mir ruhen. Es ist größer als alles Scheitern.
RB: Zurück zur Synode. Wie gehen Sie mit den Spannungen in der Weltkirche aufgrund der verschiedenen Positionen um?
Hollerich: Zuerst muss man die Angst vor dem Wort Spannung wegnehmen. Sie sind normal und hilfreich. Ein Zelt zum Beispiel existiert nur durch Spannungen, sonst fällt es zusammen. Es gibt also Spannungen, die helfen, dass die Kirche „steht“. Wir haben auch das Bild vom Zelt für die Kirche geprägt. Niemand ist vollkommen, Gott ist immer größer als alles, was wir über ihn aussagen. Spannungen helfen, das Eigene zu relativieren, Bescheidenheit zu erfahren und ins Leben zu bringen. Sie gehören zur Kirche dazu.
Die Welt wie wir sie kennen, wird verschwinden.
RB: Wie ist Ihr Ausblick auf den zweiten Teil der Synode im Herbst?
Hollerich: Es wird theologischer werden und sich mehr auf das Thema Synodalität beziehen. Es ist keine Synode über Homosexualität oder Frauen, auch wenn das wichtige Themen sind. Von Anfang an werden Professoren des Kirchenrechts dabei sein, die bereits ausloten können, wie das Kirchenrecht verändert werden muss. Das kann der Kirche einen neuen Frühling bringen. Es geht um dasselbe Kirchenrecht mit einigen Punkten, die anders sind.
RB: Ist die Synode ein Heilmittel gegen Elitarismus?
Hollerich: Ja. Der Papst empfindet den Synodalen Weg in Deutschland als elitären Prozess, in dem das Volk nicht befragt wurde. Der weltsynodale Prozess hingegen ist nicht elitär, sondern Produkt der Gläubigen.
RB: Was sind die großen Herausforderungen heute, denen sich Kirche und Glaube stellen muss?
Hollerich: Die Welt, wie wir sie kennen, wird verschwinden. Die vielen technologischen und sozialen Transformationsprozesse werden unser ganzes Leben vom Alltag bis zum Menschenbild radikal verändern. Wir sind darauf nicht vorbereitet. Das wird viele Probleme mit sich bringen. Das klingt wie Science-Fiction, was ich jetzt sage. Doch vieles davon wird morgen Realität sein. Die Kirche muss fähig sein, in dieser neuen Welt von Morgen das Evangelium zu verkünden.
Aktuelles E-Paper