RB: Die Kirche weltweit, aber auch in Österreich, durchläuft aktuell einige Reformprozesse. Wofür steht in der Erzdiözese Salzburg das neue Projekt „Kirche in der Region“?
Harald Mattel: So neu ist das Projekt gar nicht, denn schon 2018 hat es im Zukunftsprozess den Auftrag dafür gegeben – beginnend mit der breit angelegten Frage: Wo wollen wir als Diözese hin? Damit haben sich seitdem bereits zwei Arbeitsgruppen beschäftigt und nun stellen wir mit „Kirche in der Region“ die Frage: Wie setzen wir das, was wir wollen, praktisch um?
RB: Was sind Beispiele für inhaltliche Schwerpunkte des Projekts?
Mattel: Die Impulse zur Frage „Wie kann die Pfarrpastoral in der Region strukturiert sein?“ werden nun konsequent weiter und zu Ende gedacht. Was sowohl in der Synode als auch im Zukunftsprozess deutlich geworden ist: Die Gläubigen wünschen sich eine Kirche, die nahe bei ihnen vor Ort ist – und nicht die Konzentration auf einige zentrale Orte, wo Kirche erfahrbar wird. Wie das gut umgesetzt werden kann, versuchen wir uns zu überlegen. Und natürlich wie wir die personellen und finanziellen Ressourcen bestmöglich einsetzen, um die Erwartungen zu erfüllen.
Die Gläubigen wünschen sich eine Kirche, die nahe bei ihnen vor Ort ist. Wir wollen das Ideal der Wünsche mit den Möglichkeiten der Realität in Einklang bringen.
RB: Wie darf man sich die Nähe zu den Gläubigen in der praktischen Umsetzung vorstellen?
Mattel: Wir wollen in die Seelsorge vor Ort investieren und die Verwaltung so strukturieren, dass möglichst viel Energie für die Pastoral bleibt. Und wir wollen, dass die Kirche in der Region zukunftsfit ist. Was brauchen die Pfarrgemeinden, die Menschen vor Ort, damit sie gut arbeiten können? Welche Strukturen werden benötigt und sind auch realistisch? Wir wollen das Ideal der Wünsche mit den Möglichkeiten der Realität in Einklang bringen.
RB: Was wären umgekehrt die unerfüllbaren Wünsche von Pfarren?
Mattel: Jede der Pfarrgemeinden vor Ort würde sich natürlich wünschen, dass sie einen Pfarrer und eine Pastoralassistentin oder einen Pastoralassistenten nur für sich haben. Und vielleicht noch einen Verwalter, der den Seelsorgern diese Arbeit abnimmt. Das wird realistisch betrachtet nicht möglich sein. Darum müssen wir die Frage beantworten: Wie setzen wir das verfügbare Personal am effizientesten ein? Um die seelsorgliche Versorgung der Gemeinden vor Ort gewährleisten zu können, müssen wir überregional denken.
RB: Inwieweit ist es geplant, die Menschen vor Ort in Entscheidungsprozesse einzubinden?
Mattel: Wir bauen auf das Subsidiaritätsprinzip. Das heißt, wir holen bei Entscheidungen die Pfarren, die Gemeinden, die Haupt- und Ehrenamtlichen vor Ort mit ins Boot. Und wir setzen auf eine organische Entwicklung, ohne zu sagen, das müssen jetzt alle bis zu diesem Datum geschafft haben: Es muss beispielsweise in einem Tiroler Dekanat die Entwicklung nicht genau dieselbe sein wie in der Stadt Salzburg oder im Flachgau. Da bauen wir auf Differenzierung. Wir schauen uns genau die Möglichkeiten sowie die Expertise der Haupt- und Ehrenamtlichen in den einzelnen Pfarren an und fragen vor Ort: Wie ist es aus eurer Erfahrung am besten?
RB: Müssen Pfarren um ihre Existenz fürchten?
Mattel: Es ist nicht die Strategie, systematisch Pfarren aufzulösen, es ist aber auch kein absolutes Tabu. Wenn mich jemand fragt, ob ich glaube, dass wir in 50 Jahren noch gleich viele Pfarren haben werden, sage ich: Ich glaube, es werden weniger sein. Aber ich kann nicht sagen, wie viele weniger und ob dieser Prozess in drei oder in dreißig Jahren beginnt. Wenn ich merke, ich habe in einer Pfarre nicht mehr genug Ressourcen, dass ich sie in der jetzigen Form erhalten kann, muss man schauen, ob es für die Zukunft vielleicht immer noch eine Kirchengemeinde oder einen Gottesdienst vor Ort gibt – ohne dass es eine eigene Pfarre ist.
RB: Und wie sieht es mit der Zukunft der Pfarrverbände aus?
Mattel: Wir haben in einem früheren Grundsatzbeschluss sehr auf die Dekanatsebene gebaut, aber in der Praxis gemerkt, dass das vielleicht drei Schritte zu viel waren. Es ist noch nichts beschlossen, aber die Zukunft geht wohl in Richtung der Pfarrverbände, weil sie mehr der Kirche vor Ort entsprechen und näher bei den Menschen sind.
RB: Sie waren selbst jahrelang Pfarrer in Gemeinden. Was braucht eine lebendige Pfarre?
Mattel: Das ist jetzt vielleicht ein Allgemeinplatz, aber das Wichtigste, was eine Gemeinde braucht, ist die Gemeinde – noch mehr als finanzielle Mittel oder Personalressourcen von Seiten der Diözese. Je mehr die Mitglieder bereit sind, ihre Gemeinde lebendig zu halten, umso mehr wird sie lebendig sein. Dort wo Pfarrgemeinden so schrumpfen, dass ich mich nur auf das hauptamtliche Engagement verlassen kann, wären sie sehr bald keine Gemeinde mehr. Je mehr die Menschen sich einsetzen, je mehr sie ihren Glauben leben, ihre Fähigkeiten und Talente einbringen, umso mehr werden sie Gemeinde sein.
wissenswert
„Kirche in der Region“ ist ein von Erzbischof Franz Lackner nach Anhörung von Priesterrat, Pastoralrat, Konsistorium und Dechantenkonferenz beauftragtes Projekt der Erzdiözese Salzburg. Im Fokus steht eine Vision für die Seelsorge in den Regionen und deren künftige Absicherung als Antwort auf die geänderten Rahmenbedingungen kirchlichen Arbeitens – ein Zukunftsbild, wohin sich die Kirche in den Regionen trotz unterschiedlicher Bedürfnisse und Gegebenheiten entwickeln soll.
Drei Arbeitsgruppen sind in der Erzdiözese mit der Weiterentwicklung des Projekts beauftragt. Mitglieder der leitenden Steuerungsgruppe sind Harald Mattel (designierter Generalvikar), Lucia Greiner (Leiterin Seelsorgeamt), Cornelius Inama (Direktor Finanzen/Wirtschaft) und Thomas Hödl (Leiter Kommunikation). Das Projekt wurde für einen Zeitraum von 1,5 Jahren anberaumt. Die Phase bis Sommer 2024 soll genützt werden, um gemeinsam mit den Gremien sowie Vertreterinnen und Vertretern der Pfarrgemeinderäte die zu klärenden Themen zu sammeln.
In einem zweiten Schritt werden die Zuständigkeiten für die eingebrachten Themen erörtert. Was ist eine Aufgabe für die Pfarre und den Pfarrgemeinderat, was für den Pfarrverband und den Pfarrverbandsrat (den es zukünftig überall geben soll), was für Dechant, Dekanat und Dekanatskonferenz?
„Kirche in der Region“ - Projektbeschreibung auf der Website der Erzdiözese Salzburg
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