RB: Generalvikar ist ein kirchliches Amt. Auf den Punkt gebracht: Wer ist der Generalvikar und was macht er?
Roland Rasser: Er ist die operative Hand des Bischofs. Er agiert immer im engsten Zusammenspiel mit dem Bischof.
Harald Mattel: Der Generalvikar ist für den Bischof das, was in einer Gemeinde der Amtsleiter für den Bürgermeister ist. Es gilt, die große strategische Linie einer Diözese auf den Boden zu bringen, sie umzusetzen und konkret werden zu lassen.
RB: Welche Voraussetzungen braucht es, um dieses Amt gut auszufüllen?
Rasser: Ich würde sagen, die Pfarrerfahrung einer Großpfarre. Das ist bei uns beiden ähnlich. Und man braucht bis zu einem gewissen Grad das Talent, Dinge planen und organisieren zu können. Es ist auch ein Stück weit ein „Betreuungsdienst“ für die Seelsorge in den Pfarren und in den Einrichtungen. Das heißt, Unterstützung geben und die Tuchfühlung mit der Diözesanleitung halten. Hilfreich für uns beide sind zudem die Erfahrungen aus der Krisenintervention. Das Entscheidende ist doch, wie begegne ich Krisen oder Beschwerden. Zunächst braucht es das Verständnis für gegensätzliche Zugänge, Meinungen oder Positionen. Gelingt es dann, eine Vermittlung herzustellen, ist das positiv. Gelingt es nicht, sollte man zumindest nicht beleidigt auseinandergehen.
Mattel: In der engen Zusammenarbeit mit dem Bischof ist es natürlich günstig, wenn man sich in verschiedenen Bereichen ergänzt. Bei mir ist es etwa die Perspektive auf die Jugend, die ich einbringe. Wichtig ist es, die diözesanen Strukturen und Abläufe zu verstehen und zu schauen, was es für eine gute weitere Entwicklung braucht. Gerade hier habe ich mir im Organisationsprozess in den vergangenen Jahren schon einiges erarbeitet.
RB: Eine Frage an den scheidenden Generalvikar: Was war die größte Lehre der vergangenen Jahre?
Rasser: Es ist immer mehr notwendig, die Pfarre von der Gemeinde her zu verstehen und nicht nur vom Pfarrer. Das merkt man zum Beispiel bei Personaländerungen. Der Fokus der Menschen ist als Erstes auf den Pfarrer gerichtet. Wer ist der nächste Pfarrer? Mein Ansatz war es, abzuklären: Was sind die Aufgaben einer Pfarre? Wer kann was machen? Was können die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden leisten? Natürlich ist der Pfarrer eine Schlüsselfigur. Nur darf er kein Einzelkämpfer sein.
RB: Der Generalvikar hat Einblick in alle Themen, die die Erzdiözese betreffen. Was ist die größte Herausforderung? Stichwort Personal und Bedeutungsverlust des Glaubens.
Mattel: Wir erleben insgesamt einen großen gesellschaftlichen Wandel. Damit ist die Kirche wie alle anderen Institutionen konfrontiert. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie können wir den Grundauftrag, der uns durch das Evangelium mitgegeben ist, in der heutigen Zeit leben?
Rasser: Ich würde weniger vom Glaubensverlust als von der Individualisierung des Glaubens sprechen. Die Feste im Jahreskreis wie Ostern, Weihnachten, Pfingsten oder Erntedank sind hochgeschätzt. Dazwischen, an den „durchschnittlichen“ Sonntagen merken wir, die Menschen gestalten ihre Interessen individuell.
Die Aufgabe, an der Seite der Armen zu stehen, hat Kirche seit 2.000 Jahren. Wie sich das konkret darstellt, ist heute anders als vor 100 oder 20 Jahren. Die Gesellschaft wird schnelllebiger. Das heißt, wir müssen schneller Antworten auf Fragen finden. Ich glaube, das ist die große Herausforderung.
Unser gemeinsames Ziel: eine gut funkionierende Seelsorge vor Ort und ein bereicherndes Miteinander mit wenig Reibungsverlusten.
RB: Welche Entwicklung wünschen Sie sich für die Erzdiözese in den kommenden zehn Jahren?
Mattel: Viele motivierte Haupt- und Ehrenamtliche, die unsere Kirche lebendig halten. Ob das dann mit Pfarrverbänden gut funktioniert oder mit einem anderen Modell ist zweitrangig. Da habe ich persönlich keine Präferenz. Ich wünsche mir ein möglichst gutes Ergänzen und Unterstützen und möglichst wenig Reibungsverluste.
Rasser: Ich wünsche mir ein gedeihliches und bereicherndes Miteinander von Priestern, Diakonen und Laien. Ein Miteinander, wo jeder seine besonderen Talente und Fähigkeiten einbringt und wo jeder ergänzungsbedürftig ist. Da zitiere ich unseren Herrn Erzbischof wirklich gerne.
Mattel: Das zeigt sich in den großen wie kleinen Themen. Den Erstkommunion-Jahresplan mit den Familien gemeinsam zu machen, führt zu einem besseren Ergebnis. Was brauchen Jugendliche? Das können junge Menschen am besten beantworten. Natürlich muss es anschlussfähig sein. Es bringt ja nichts, wenn die Jugend ihre Bedürfnisse definiert und es passt in das Gesamtsystem von Kirche nicht rein. Da ist das Verbinden gefragt.
RB: Das Amt des Generalvikars ist kräftezehrend. Wie erhalten Sie sich die Motivation?
Mattel: Zum einen betrifft das bei mir die eigene Spiritualität, das Gebetsleben und das Verwurzeltsein. Für mich ist außerdem Taizé ein ein Ort zum Krafttanken. Hier habe ich auch den vergangenen Monat verbracht. Das Andere ist es im Team zu arbeiten. Das macht schwierige Situationen gleich leichter.
Rasser: Da ist zunächst das Wohlwollen allen Menschen gegenüber. Dann das Bewusstsein: Wir ziehen am gleichen Strang. Das geht mitunter verloren, wenn wir uns in Randthemen verbeißen. Wir mögen verschiedene Perspektiven haben, sei es von der Leitung her oder vom einzelnen Pfarrgemeinderat her. Doch alle haben wir das Ziel, dass Seelsorge und Gemeinschaft vor Ort möglichst gut funktionieren. Alle, die eine Leitungsaufgabe innehaben, sollten dieses große gemeinsame Ganze stets im Blick haben. Wobei Leitung nach meinem Verständnis immer das Voneinanderlernen beinhaltet.
RB: Was können Sie beide vom jeweils anderen lernen?
Mattel: Roland war mein Religionslehrer. Das Voneinanderlernen hat also früh angefangen. Was ich mir definitiv abschauen kann, ist sein Zugehen auf die Menschen und seine Gelassenheit. Und ganz praktische Prinzipien. Roland sagt oft: Da rufe ich lieber an, bevor ich eine Mail-Nachricht zurückschreibe. Im Gespräch lassen sich die meisten Fragen und Unstimmigkeiten einfacher lösen.
Rasser: Das sind sicher die digitalen Fähigkeiten. Ich bin noch ein durch und durch analoger Mensch. Harald ist auch ein exzellenter Organisator und sehr strukturiert. Aus diesem Erfahrungsschatz profitiere ich.
Aktuelles E-Paper