RB: Was bedeutet es, einsam zu sein?
Marlene Huemer: Ich möchte gerne meine eigene Erfahrung teilen: Als ich 2005 nach Salzburg in ein Studentenheim zog, fühlte ich mich allein. Ich kannte weder Stadt noch hatte ich vertrauensvolle Beziehungen aufgebaut. Das führte zu meinem Rückzug, großer Traurigkeit und dem Gefühl, dass die Welt an mir vorbeizieht. Erst langsam begann ich die Qualität darin zu sehen, alleine etwas für mich zu erfahren, die Stadt anzusehen und es gesellten sich Menschen zu mir, die ähnliche Interessen hatten. Aber es hat Zeit gebraucht.
RB: Es sind also nicht nur Ältere betroffen?
Huemer: Einsamkeit kann Menschen in allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten treffen. Auslöser sind oft Veränderungen: der Umzug in eine andere Stadt, der Besuch einer neuen Schule, der Beginn des Studiums oder der Pensionseintritt. Menschen können aber natürlich auch allein sein und nicht darunter leiden. Das „mit sich selbst sein“ ist eine sehr schöne Erfahrung, wenn sie selbst gewählt ist.
RB: Einsamkeit kann sogar krank machen. Was können wir alle tun, um das zu verhindern?
Huemer: Ganz praktisch kann ich empfehlen: Schaut aufeinander! Wenn ihr vom Nachbarn schon länger nichts mehr gehört habt, klopft an. Unterstützt Initiativen wie das Plaudernetz der Caritas ( 05 1776 100) oder die vielen anderen Angebote.
RB: Tragen Krisen wie jetzt die Teuerung zur Vereinsamung bei?
Huemer: Die zunehmende Sorge über das krisenhafte Leben nimmt Energie. Dabei braucht es die, damit wir am sozialen Leben teilnehmen können. Wenn die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe im Freundeskreis darauf aufgebaut ist, zu konsumieren, und das dann nicht mehr leistbar ist, kann es zu einem sozialen Rückzug kommen.
RB: Sie sind das Gesicht des Projekts „KeinAllein“ – dem neuen Projekt gegen Einsamkeit. Was hat es damit auf sich?
Huemer: Die Katholische Aktion (KA) setzt einen Schwerpunkt, um sich proaktiv mit dem Thema auseinander zu setzen. Beheimatet ist das Projekt bei mir im ABZ – Haus der Möglichkeiten in Salzburg-Itzling. KA-Vizepräsidentin Hildegard Mackinger ist eine wichtige Förderin. Innerhalb der KA soll es zu einer verstärkten Vernetzung und zum Austausch mit Institutionen kommen. Wir wollen das Rad nicht neu erfinden, sondern Bestehendes unterstützen und Lücken füllen. Es geht uns um offene und konsumfreie Orte wie das ABZ oder zum Beispiel auch Pfarrhöfe, die Treffpunkte sein können. Menschen sollen leicht zugängliche Orte haben, in denen sie willkommen sind und ein Gefühl der Wärme und Herzlichkeit empfinden.
RB: In der Stadt Salzburg gibt es seit kurzem in Cafés und Bistros und auch im ABZ die „Begegnungstische“. Statt allein zu Hause zu sein, treffen sich Menschen.
Huemer: Bei uns im Haus sind Maria Sojer (ABZ-Leiterin) und Mario Höfler (freiwilliger Mitarbeiter) Mittwoch und Freitag immer anwesend und freuen sich über Besuch. Es gibt Kaffee und Tee und manches Mal Frühstück. Man kann kommen und sich unterhalten, Zeitung lesen oder einfach bei uns sein.
RB: Was raten Sie Menschen, die an den Weihnachtsfeiertagen allein sind und für die das eine Belastung ist?
Huemer: Teilt eure Einsamkeit, Trauer und Wut. Es gibt Hilfe wie die Telefonseelsorge (142). Da ich weiß, dass die Überwindung, sich zu melden, groß ist, kann man sich auch selbst ein Geschenk machen: Eine Stunde in der Natur spazieren gehen, Lieblingsmusik hören. Vielleicht ist die Weihnachtsmesse oder der Besuch der Kirche eine gute Möglichkeit. Oder ich nehme ein wohltuendes Bad. Das Aufschreiben der eigenen Gefühle hat eine heilende Wirkung, wenn es doch nichts an der Situation ändern kann. Das soll ohne Druck geschehen, aber es soll geschehen. Selbst wenn die Lust noch nicht da ist – macht einen ersten Schritt und dann noch einen. Auf der Plattform gegen Einsamkeit werden außerdem Angebote für einsame Menschen aufgelistet: www.plattform-gegen-einsamkeit.at.
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