RB: Herr Erzbischof, wie geht es Ihnen in Ihrem neuen Zuhause im Priesterseminar?
Erzbischof em. Alois Kothgasser: Als ich im Amt war, blieb für vieles keine Zeit. Es galt auf die täglichen Anforderungen zu reagieren. Dann legt man manche Dinge einfach ab, ohne sie bearbeiten zu können. Jetzt muss Ordnung gemacht werden. Ein alter Kärntner Schuldirektor sagte einmal zu mir, Ordnung muss sein. Welche ist gleich. Jetzt ist die Zeit dafür. Ich bin ganz zufrieden und ich habe alles was ich brauche.
RB: Sie haben die vergangenen Jahre in Baumkirchen bei den Don-Bosco-Schwestern gelebt. Wie kam es dazu, dass Sie jetzt nach Salzburg zurückgekehrt sind?
Kothgasser: Ich habe überlegt, wohin ich nach meiner Emeritierung gehe. Es war mir wichtig, meinem Nachfolger genügend Zeit zu geben, sich einzuleben und die Dinge in die Hand zu nehmen. Da braucht es eine räumliche Distanz, eine völlige Freiheit, das war mir klar. Ich kannte die Don-Bosco-Schwes-tern in Baumkirchen. Das war eine gute Situation. In Baumkirchen in Tirol hatten wir die Schlosskapelle. Ich habe immer gesagt, das ist meine Kathedrale, sie ist zwar klein, aber von der Heiligen Dreifaltigkeit – wie auch hier in Salzburg wieder. Die schöne Kirche der Dreifaltigkeit ist die Mitte des Ganzen.
Das Miteinander im Geistlichen Zentrum Baumkirchen, mit der Pfarrgemeinde, dem Kindergarten und dem Hort zu leben und die Tiroler Feste mitzufeiern war schön für mich. Das habe ich sehr geschätzt. Doch jetzt war es Zeit, zurückzukehren. Ich bin zu Erzbischof Franz Lackner gegangen und habe ihm mein Anliegen vorgetragen: Ich möchte in die Erzdiözese, zu der ich gehöre, in meinem letzten Lebensabschnitt zurückkehren. Wenn du einverstanden bist, möchte ich ins Pries-
terseminar gehen. Und zwar aus folgendem Grund: Da bin ich nicht direkt im Zentrum und doch nicht weit weg. Es ist eine wunderbare Lage. Der andere Grund war, ich bin es gewohnt, gerade als Salesianer, in Gemeinschaft und unter jungen Leuten zu sein.
Ich bin dankbar, im Seminar zu sein. Ich fange wieder von vorne an.
Mein zweiter Weg war zum Regens. Wir haben die Möglichkeiten besprochen und er hat mir eine Wohnung, die infrage kommt, gezeigt. Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich hier im Seminar sein kann. Ich fange wieder von vorne an.
RB: Wie gestaltet sich dieses Neuanfangen im Priesterseminar?
Kothgasser: Es wird mir leicht gemacht. Ich hatte immer viel mit der Ausbildung von Pries-tern zu tun. Das war auch ein Motiv. Ich bin gut integriert. Ich bin eingebunden und trotzdem nicht völlig gebunden. Die jungen Leute sind alle irgendwo Fachleute. Wenn ich etwas brauche, mit der Arbeit am Computer etwa, gehen sie mir zur Hand, um das eine oder andere zu klären.
RB: Sie sind unter einem Dach mit den Seminaristen, mit Menschen, die sehr viel jünger sind als Sie. Wie ist dieses Zusammenleben?
Kothgasser: Es ist viel Leben im Seminar. Derzeit gehören zum Haus 15 Seminaristen; einige jedoch sind auswärts in Ausbildung oder tageweise im Praktikum. Ich erlebe hier eine sehr gute internationale Gemeinschaft, bestehend aus der Leitung, den Seminaristen, einem Neupriester und Gastpriestern aus dem Ausland, die schon länger pastoral in ihrem Heimatland wirkten und nun hier ihr Doktorat machen. Das ist eine gegenseitige Bereicherung. Salzburg ist überhaupt ein guter Boden für die Ausbildung. Die Seminaristen sind sehr aufgeschlossen. Sie wachsen in alles hinein, auch in die Sorgen der Kirche von heute.
Das Entscheidende ist, dass wir beim Wesentlichen bleiben. Das heißt, dass wir wissen, wer unser Meister und Herr ist, unser Erlöser. Dass wir wissen, wir sind schon Erlöste und dass wir das leben und geben können. Ich sehe unter den Seminaristen keine Haltung der Ängstlichkeit, was die Zukunft der Kirche betrifft. Sie haben eine gute Grundeinstellung und sind zuversichtlich für ihr Leben und für ihren Dienst, den sie anstreben. Und es gibt Fröhlichkeit und Humor untereinander.
RB: Finden Sie nun Zeit für Ihre Bücher und zum Lesen?
Kothgasser: Ich bin noch dabei, meine Sachen und meine Bücher zu ordnen. Ein großer Teil der Bücher steht nun in der Bibliothek des Priesterseminars allen zu Verfügung. Darüber bin ich sehr froh. Für mich selbst werde ich nur wenig behalten. Wenngleich ich mir schon einige Zeit zum Lesen gönnen möchte, vor allem für Biografien, die mich interessieren. Ich bekomme viel zugeschickt wie die Kirchenzeitungen: den Tiroler und Kärntner Sonntag, das Sonntagsblatt für die Steiermark und das Rupertusblatt. Ich möchte auf dem Laufenden bleiben zum Beispiel was die Ökumene angeht. Ansonsten gibt es in Salzburg zahlreiche Einladungen. Doch ich brauche auch Ruhe, um mein Leben zu sammeln.
Auf jeden Fall möchte ich Aushilfen übernehmen und zwischendurch, wenn Erzbischof Lackner etwas braucht, bin ich natürlich da. Es bedeutet keine ständige Verpflichtung mehr für mich, aber die Offenheit für das, was gebraucht wird.
Wichtig ist mir die Seelsorge: im Haus und wo immer Hilfe Not tut. Das habe ich schon in der Diözese Innsbruck und im Tiroler Teil der Erzdiözese so gelebt. Man kommt in die Pfarren zu den Sonntagsgottesdiensten oder Festen und kennt die Menschen. Man kennt noch die Situation und hat doch keine unmittelbare Verantwortung. Ich kann als Seelsorger da sein. Das war für mich immer entscheidend als Priester.
RB: Die Welt ist im Krisenmodus. Der Krieg in der Ukraine, die Teuerung und die Klimakrise machen den Menschen Sorge oder sogar Angst. Wie gehen Sie, jemand mit viel Lebenserfahrung, damit um?
Kothgasser: Die Lage ist bedrohlich. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben. Es geht um die ganze Schöpfung und die ganze Menschheit. Ich glaube, es braucht ein intensives Bemühen der Politiker, denen es wirklich um die Menschheit geht. Und wir müssen versuchen, unser Leben so zu gestalten, dass es der ganzen Menschheit Frieden bringt. Da haben wir Einfluss, den müssen wir nur nützen.
Wir haben Einen mit uns. Wir müssen nicht alles alleine bewirken.
Das andere: Wir brauchen Beterinnen und Beter. Ich bin überzeugt, der Rosenkranz ist eine Macht, die das Denken und die Herzen der Menschen verändert, ausgerichtet auf den Frieden. Wir haben als Christinnen und Christen eine Botschaft, die uns geschenkt ist. Die uns immer neu auffordert, sie im kleinen zu leben und zu verwirklichen, damit es sich im großen Bereich auswirkt. Dann müssen wir nicht allzu große Sorgen und Angst haben. Ich glaube, der gute Gott wird auf uns schauen. Aber er respektiert die Freiheit der Menschen, auch jene der Mächtigen.
RB: Wir gehen auf Weihnachten zu. Was ist Ihre schönste Weihnachtserinnerung?
Kothgasser: Ich habe Weihnachten immer sehr tief erlebt. Zu den schönsten Erinnerungen gehören jene im Salzburger Dom, wenn bei der Mette Stille Nacht gesungen wird. Ich habe einmal Domkapellmeister Janos Czifra gefragt: Das Stille-Nacht-Lied hat doch sechs Strophen, nicht nur drei? Wir haben es uns dann angeschaut und er hat begonnen sechs Strophen zu singen –im Refrain stimmt das Volk ein. Das ist beeindruckend. Der Dom ist voll zu Weihnachten, genauso wie zu Silvester.
RB: Wie feiern Sie heuer Weihnachten?
Kothgasser: Ich weiß noch nicht, was geplant ist. Nach Weihnachten fahre ich nach Rom. Die Seminaristen haben mich eingeladen mitzukommen. Ich habe lange in Rom gelebt. Das war eine prägende Zeit der Universalität und Internationalität. Überhaupt, wenn ich zurückdenke, kann ich sagen, dass ich auf dem Weg, den ich gehen konnte, reich beschenkt wurde. Dafür bin ich sehr dankbar. Manches Mal frage ich mich: Wie ist das alles gegangen? Denn die Arbeit war stets herausfordernd und der Eindruck war da, es ist alles zu wenig, was man machen kann. Aber wir haben den Vorteil, das wir Einen mit uns haben. Wir sind nicht alleine. Wir müssen nicht alles alleine bewirken.
Der Weg von Erzbischof Alois Kothgasser führte von der Steiermark über Turin und Rom nach Benediktbeuern, Innsbruck und Salzburg – und nach der Emeritierung erneut nach Tirol. Rund um seinen 85. Geburtstag am 29. Mai, gab er bekannt nach Salzburg zurückkehren. Das Pries-terseminar ist nun das Zuhause des emeritierten Erzbischofs von Salzburg, den nach wie vor Gelassenheit, Zuversicht und Humor auszeichnen. Über seine vielen Stationen im Leben sagt er: „Manchmal frage ich mich: Wie ist das alles gegangen? Die Arbeit war immer viel. Aber wir haben den Vorteil, dass wir nicht alleine sind. Wir müssen nicht alles alleine bewirken.“
Alois Kothgasser, geboren am 29. Mai 1937 in Lichtenegg, Pfarre St. Stefan im Rosental, Mitglied der Ordensgemeinschaft der Salesianer Don Boscos, Studium in Turin und Rom, Pries-terweihe am 9. Februar 1964, ab 1982 bis 1997 Professor für Dogmatik und zweimal Rektor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benediktbeuern in Bayern, von 1997 bis 2002 Bischof von Innsbruck. Seine Bischofsweihe jährte sich am 23. November zum 25. Mal.
Am 23. November 2002 wählte das Dom- und Metropolitankapitel zu Salzburg Alois Kothgasser zum Erzbischof von Salzburg. Seit der Amtsübernahme am 10. Jänner 2003 und Amtseinführung am 19. Jänner war Alois Kothgasser der 90. Bischof von Salzburg, 89. Nachfolger des heiligen Rupertus und der 78. Erzbischof. Seine Emeritierung erfolgte 2013.
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