RB: Bald ist wieder Muttertag – brauchen wir diesen Tag überhaupt?
Mareike Fallwickl: Das kommt drauf an, wen wir fragen. Der Kapitalismus hat den Muttertag schon ganz gern, er ist komplett monetarisiert und spielt viel Geld in die Kassen. Was die Ironie umso schöner macht, denn auch am Muttertag verdienen wir an der generellen Ausbeutung der Mütter, in dem Fall halt daran, dass wir uns für diese Ausbeutung „entschuldigen“. Und das ist der zweite Punkt, für den wir den Muttertag hochhalten: Wir waschen uns rein, übertünchen unser schlechtes Gewissen mit Blumen und Pralinen. Weil wir alle genau wissen, dass diese Gesellschaft darauf beruht, dass sie sich an der Ressource Frau bedient.
RB: Die Tagung MutterNacht in St. Virgil beschäftigte sich mit dem erschöpfenden Mutter-Sein. Warum sprechen wir so wenig (in der Öffentlichkeit) darüber?
Mareike Fallwickl: Ach, es gibt unzählige Stimmen, die darauf hinweisen, und zwar seit Jahrzehnten. Es gibt Studien, Bücher, Statistiken, Zahlen, es gibt Lösungen für diese strukturellen Ungerechtigkeiten in Sachen Aufteilung von Sorgearbeit, und zwar nicht erst seit kurzem. Sie liegen seit so langer Zeit auf den Tischen der Politiker, dass es peinlich ist, dass man das überhaupt erzählen muss. Um nur ein Beispiel zu nennen, bereits in den Siebzigerjahren hat eine international angelegte Kampagne stattgefunden unter dem Motto „Lohn für Hausarbeit“. Es liegt nicht daran, dass über die erschöpften Mütter nicht gesprochen wird. Nach den Lockdowns wurde dazu noch wesentlich mehr geschrieben und gesagt. Es geht vielmehr darum, dass niemand zuhört. Und dass niemand auf diese Hilferufe eingeht.
RB: Frauen verrichten immer noch den Großteil der Sorgearbeit. Warum?
Mareike Fallwickl: Wir haben Care-Arbeit und Weiblichkeit so eng miteinander verknüpft, dass wir es nicht schaffen, darüber hinauszudenken. Frauen und Männer, die nicht dem Rollenklischee entsprechen, erfahren gesellschaftliche Abwertung und Sanktionen. Außerdem heißt es gern, den gender pay gap gibt es nicht, bis ein Paar ein Kind bekommt, dann existiert er auf einmal doch, und die Männer sagen: „Natürlich bleibt meine Frau daheim und ich geh weiter arbeiten, ich verdiene ja viel mehr.“ Der Arbeitsmarkt gibt im Moment keine flexiblen Lösungen her, das wird er aber bald müssen. Studien zeigen ganz klar, dass da eine neue Generation kommt, die sich völlig anders orientiert im Leben.
RB: In Ihrem Roman „Die Wut, die bleibt“ schreiben Sie sehr schonungslos über das Leben als Mutter und das Scheitern – nicht am Mutter-Sein, sondern am System. Warum war es für Sie wichtig, genau dieses Buch zu schreiben?
Mareike Fallwickl: In vielen Interviews und an den Fragen der Lesenden merke ich, dass die Leute denken, ich sei eines Morgens aufgewacht und hätte beschlossen, einen empowernden Roman zu schreiben, der von der Erschöpfung der Mütter handelt und von der Gewalt gegen Frauen. Aber so ist es nicht gewesen.
Mein Zugang ist ein literarischer: Ich wollte eine gute Geschichte schreiben. Auslöser dafür war, dass mir, als wir im Februar 2021 im Lockdown saßen, fast täglich andere Frauen, Freundinnen, die Mütter sind, geschrieben haben: Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich spring jetzt einfach vom Balkon. Dieser im Idealfall hypothetische Satz, mit dem wir Verzweiflung ausdrücken, hat mich plötzlich elektrisiert, und ich habe gedacht: Was, wenn eine das wirklich tut, was für eine Geschichte kann entstehen? Dass das Buch heute als radikal bezeichnet wird und als augenöffnend und feministisch, kann ich zwar nachvollziehen, und ich freue mich über die zahllosen positiven Reaktionen. Aber diese Zuschreibungen kommen von außen.
RB: Wie Helene im Buch verbinden Sie Familie und Beruf. Sie machen es nur besser. In der Danksagung ist zu lesen, Sie leben mit Ihrem Mann jene Gleichberechtigung, an der die Gesellschaft scheitert. Wie gelingt das?
Mareike Fallwickl: Vor 13 Jahren haben wir uns hingesetzt und gesagt: Okay, wir bekommen ein Kind, wie organisieren wir das gemeinsam? Das war für uns völlig logisch, es war kein feministischer Ansatz dahinter, das Wort Care-Arbeit hatte ich damals noch nie gehört. Seither teilen wir alles 50:50 auf, einer von uns verlässt das Haus und macht Erwerbsarbeit, der andere kümmert sich um die Kinder, und am nächsten Tag tauschen wir. Es erstaunt immer, dabei ist es keine Hexerei. Väter können ebenso gut für ihre Kinder sorgen wie Mütter.
Hat das Muttersein Ihr Schreiben beeinflusst?
Mareike Fallwickl: Ja, natürlich.
RB: Was ist das Wichtigste, dass Sie ihren Kindern vorleben und mitgeben möchten?
Mareike Fallwickl: Niemand wird geboren und hasst andere Menschen. Niemand kommt zur Welt und ist rassistisch, sexistisch, dickenfeindlich, homophob und transfeindlich. Das sind Prägungen, denen das Patriarchat zugrunde liegt und gegen die wir immer und überall aufstehen müssen. Für eine bessere und gleichberechtigte Welt, die für alle Menschen ein guter Ort ist.
Hintergrund
Mit MutterNacht hat in St. Virgil eine bemerkenswerte Veranstaltung die Schattenseiten des Mutterseins in den Blick genommen. Während Muttersein oftmals als persönliches Lebensglück dargestellt wird, verschwindet in der Wahrnehmung, dass es auch die Erschöpfung gibt – und Wege daraus.
Die Lesung von Mareike Fallwickl aus ihrem neuen Roman setzte am Tagungstag den Schlusspunkt. Für alle, die das Werk der Salzburgerin noch nicht kennen – der Gang in die nächste Buchhandlung, der Kauf und das Lesen lohnen sich.
Mareike Fallwickl, Die Wut, die bleibt, Rowohlt 2022, Hamburg, 384 S., 22, 70 €, ISBN 978-3-498-00296-1.
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