Salzburg. Stefan packt die restlichen Sachen zusammen. Viele Schachteln stapeln sich in seinem alten VW-Bus. Er beginnt in zwei Wochen sein BWL-Studium in Wien. Heute verlässt er das Elternhaus und zieht in die große Stadt. Maria und Karl bleiben in dem Reihenhaus am Land zurück. Schon seit Monaten versuchen die beiden, sich auf diesen Augenblick einzustimmen.
Doch nun, da der Moment gekommen ist, steigen bei den Eltern Gefühl der Trauer auf. Dabei haben sich sich doch gefreut, dass ihr Kind mutig auf eigenen Beinen stehen kann und damit auch ein Stück Freiheit einkehrt. In den nächsten Wochen beschäftigen sie sich intensiv mit diesem Thema. Nach und nach gelingt es den beiden, ihr Leben auch ohne Kinder sinnvoll zu gestalten. Sie erkennen, dass sie ihre Freunde und ihre Hobbys in den vergangenen Jahren vernachlässigt haben. Alte Adressbücher werden durchforstet, ihr fast vergessener Bekanntenkreis aktiviert.
Diese Phase trägt die schönen Erinnerungen mit den Kindern mit sich, ebenso wie das Gestalten eines neuen sinnerfüllten Lebensabschnittes.
„Die frei werdende Zeit bringt oft erst zu Tage, dass gemeinsame Aktivitäten selten geworden sind. Wofür wollen wir die gewonnene Zeit sinnvoll investieren? Für was können wir uns beide begeistern? Dies können Einstiegsfragen zur Findung neuer gemeinsamer Visionen und Ziele sein“, weiß Maria Eisl vom Referat für Ehe und Familie der Erzdiözese Salzburg.
Der Mensch in der Lebensmitte stellt sich bewusster die Frage nach dem tieferen Sinn seines Lebens, nach einem höheren Ziel. Gute Freunde seien für jedes Paar wichtige Wegbegleiter. „Ein nicht unwesentlicher Beitrag dafür ist die Freundschaftspflege. Die Erfahrung zeigt, dass man nichts falsch machen kann, wenn man bisher selten gepflegte Beziehungen zu anderen Paaren wieder aufleben lässt. Gemeinsame Unternehmungen mit Freunden können viel Frohsinn ins Leben bringen.“
In diese Zeit hinein könne auch das Geschenk der Großelternschaft fallen. Die Enkelkinder bringen Freude und Schwung in die erfahrene Beziehung. Um diese Gabe genießen zu können, bedarf es eines guten Verhältnisses zu den eigenen erwachsenen Kindern sowie Schwiegerkindern. „Eine wertschätzende Atmosphäre der Annahme und Akzeptanz muss auf beiden Seiten gegeben sein oder von Neuem angegangen werden.“ In diesem Sinne wirken auch die Worte von Papst Franziskus: „Die liebevolle Verbindung zwischen den Generationen garantiert die Zukunft, und sie garantiert eine wirklich menschliche Geschichte.“
Heinrich Eisl, Referent zu familienspezifischen Themen und Gründer des Elternprojektes „Tief verwurzelt“.
RB: Können sich Paare auf die Zeit nach den Kindern vorbereiten?
Eisl: Es ist wichtig, dass während der intensiven Familienzeit der Partnerschaft die angemessene Priorität gegeben wird. Das „gehaltvolle Gespräch“ über Bedürfnisse, Sehnsüchte, Verletzungen, Visionen, die empfundene Liebe füreinander, gehört regelmäßig gepflegt. Für Eltern ist es eine nie endende Herausforderung, sich die Zeit für das „Gespräch von Herz zu Herz“ freizuschaufeln. Eine lebendig bleibende Liebesbeziehung ist jedoch der Lohn dafür.
RB: Wird manchen Paaren auch bewusst, dass die Kinder das einzige waren, das sie zusammengehalten hat?
Eisl: Ja, denn wenn die Kinder als Liebesersatz gedient oder nur mehr das Bindeglied des gemeinsamen Lebensinhaltes dargestellt haben, fällt mit dem Erwachsensein der Kinder die Sinnerfüllung für die Partnerschaft weg. Dies wird dann zur schmerzvollen Erfahrung, wenn die Kinder das Nest verlassen. Tröstlich für diese Paare ist, dass der Mensch zu jeder Zeit die Fähigkeit in sich trägt, Veränderungen anzustoßen und so dem Zusammenleben eine neue Note zu geben.
RB: Lernen sich Paare neu kennen, wenn die Kinder aus dem Haus sind?
Eisl: Die gemeinsame Zeit schenkt viel Lebenserfahrung und lässt manches in einem anderen Licht erscheinen. Die Erkenntnis, dass vieles im Leben ein Windhauch ist, schenkt Gelassenheit, Dankbarkeit und Humor. Sich immer wieder neu entdecken zu wollen und staunend vor der Größe des anderen zu stehen, ist für jedes Paar ein wichtiger Motor für eine geglückte Partnerbeziehung.
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