Salzburg. „In meiner Familiengeschichte haben der Tod und das Loslassen immer eine Rolle gespielt. Sowohl mein Onkel als auch der zweite Mann meiner Großmutter wurden im Zweiten Weltkrieg nicht als gefallen, sondern als vermisst gemeldet. Meine Oma hat noch bis 1970 gehofft und Briefe geschrieben, ob jemand etwas weiß, ob er vielleicht noch lebt. Dadurch gab es in meiner Familie eine gewisse Wehmut und Traurigkeit, die nie ganz weggegangen ist“, erinnert sich der Schriftsteller Walter Müller an erste Berührungspunkte mit dem Sterben . „Der Tod, das Trösten, Trauern und Begleiten, das waren dann meine Themen. Und je mehr ich mich damit beschäftigt habe, umso wichtiger wurde es mir – eine Herzensangelegenheit.“
Als 1999 seine Mutter verstarb, begann sich Müller noch intensiver mit „den letzten Dingen“ zu beschäftigen: „Da waren zwei Krankenschwestern, die uns quasi ,an der Hand genommen‘ und begleitet haben und genau wussten, was wichtig ist. Ich hatte damals von der Hospizbewegung noch keine Ahnung, habe aber von da an alles darüber gelesen – und der Gedanke hat mich nicht mehr losgelassen.“ Eine Konsequenz: Müller wurde vor fast genau 20 Jahren zum Mitbegründer des Vereins der Freunde des Raphael Hospizes Salzburg (damals noch Helga-Treichl-Hospiz) – eine anerkannte Institution, die seit 2018 Erzbischof Franz Lackner als Schirmherrn ausweist.
Auch zum Jubiläum „30 Jahre Hospiz-Bewegung Salzburg“ war Trauerexperte Müller kürzlich als Festredner geladen. Dabei sprach er kritisch zum Thema Künstliche Intelligenz und menschenähnliche Roboter in der Pflege. „Keine noch so intelligente Maschine kann ersetzen, was dabei am wichtigsten ist: das Menschsein, die Gefühle, die Empathie. Der Hospiz-Bewegung geht es genau darum. Dass man nicht reflexartig reagiert, sondern als Mensch einem Menschen begegnet – der eine ist der Sender, der andere der Empfänger. Menschen in Würde zu begleiten, das ist das Wesentliche“, betont der auch als Trauerredner tätige Autor.
In Sachen Hospiz sei der größte Irrglaube, es lediglich als „Ort, an den man zum Sterben kommt“ wahrzunehmen. „Natürlich wird gestorben in diesem Haus, aber es wird vor allem gelebt – in Würde, bis zuletzt“, sagt Walter Müller und erzählt von einem Freund, der mit Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium ins Raphael Hospiz aufgenommen wurde: „Er hat früher kaum etwas Süßes gegessen, aber dort entdeckte er, wie gut Schokolade schmeckt. Am Schluss sagte er zu uns: Jetzt könnten wir eigentlich eine Mozartkugel-Verkostung machen. Was ich damit sagen möchte: Menschen, die nicht mehr viel Zeit haben, beginnen das Leben wiederzuentdecken und Kleinigkeiten zu schätzen.“
Nach Möglichkeit werden in einem Hospiz alle Wünsche erfüllt, die man noch erfüllen kann – zum Beispiel auch jener einer Frau mit weit fortgeschrittener Erkrankung, die noch einmal in ihrem Leben nach Triest fahren wollte. „Es wurde vom Ärzte- und Pflegeteam besprochen, ob das möglich ist, wie man dafür die Medikamente einstellen muss und wen sie bei einem Problem am Handy erreichen kann. Und es wurde möglich gemacht“, beschreibt Müller den wertschätzenden Umgang mit Menschen, die in Hospizen bevorzugt nicht Patienten, sondern „Gäste“ oder „Besucher“ (Tageshospiz) genannt werden.
Nicht zu vergessen ist der wichtige Umgang mit den Angehörigen. „Die sind manchmal in einer schwierigeren Situation als die sterbende Person selbst“, erklärt der Trauerexperte, „weil sie nicht loslassen können, weil sie natürlich in Panik oder große Traurigkeit verfallen, wenn ein geliebter Mensch dem Tod geweiht ist. Die Angehörigen werden im Hospiz auch aufgefangen und entdecken, wie wichtig es ist, noch einmal beisammen zu sitzen, in einem Fotoalbum zu blättern oder einfach gemeinsam in die Wiese hinaus zu schauen. So komisch das klingen mag: Es gilt, die letzten Momente zu genießen, sich zu erinnern – und auch zu lachen.“
Walter Müller, Salzburger Autor und Gründungsmitglied des Raphael Hospizes.
Veranstaltung
Das Bildungszentrum St. Virgil bietet am 8. und 9. Dezember ein zweitägiges Einführungsseminar zum Thema „Ehrenamtliche Hospizarbeit“ an. Web-Infos unter: www.virgil.at/bildung (Thema „Lebenswege“).
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