Salzburg. Bei Filmemacher Adrian Goiginger liegen die Wahrheiten stets unter der Oberfläche verborgen. Berühmt wurde er mit dem von seiner heroinsüchtigen Mutter inspirierten Drama „Die beste aller Welten“, über das Kritiker sagten: „Es ist kein Film über Drogen, es ist ein Film über die Liebe einer Mutter.“ 2022 folgte mit „Der Fuchs“ ein weiteres Meisterwerk. Diesmal erzählte er eine Episode aus der Militärzeit seines im Zweiten Weltkrieg kämpfenden Urgroßvaters Franz Streitberger, über die man sagen könnte: „Es ist kein Film über die Tierliebe eines Soldaten, sondern eine Geschichte über die Armut in dieser Zeit.“
Noch deutlicher als in seinem bewegenden Historiendrama geht Goiginger auf diese bitterste Armut im frisch publizierten Buch „Franz“ über das Leben des besagten Urgroßvaters ein. Gemeinsam mit Co-Autor Wolfgang Müller, der als Schriftsteller und Trauerredner bekannt ist, verbindet er in diesem dokumentarischen Werk ein Einzelschicksal mit der Zeitgeschichte – basierend auf Erinnerungen an zum Teil aufgenommene Gespräche mit dem Urgroßvater. Hinzu kamen private Fotos und allgemein zugängliches Archivmaterial.
Uropa Franz war eines von zwölf Kindern, die in kleinen, feuchten und kalten Kammern hausen mussten. Die bäuerliche Familie Streitberger wurde von Jahr zu Jahr ärmer, rutschte in immer unwirtlichere Höfe und schlechtere Verhältnisse ab, in einer Zeit als die Lebenshaltungskosten von 1913 bis 1922 auf das 14.000-fache anstiegen. „Wenn die Streitberger-Kinder kommen, dann gebt ihnen etwas. Die sind nämlich die Ärmsten“, hieß es bald wenn die Familienmitglieder vom nicht zufällig „Saulehen“ benannten Hof mit seinem kleinen Schweinestall nach Saalfelden und Piesendorf zum Betteln aufbrachen.
Ob dieser bitteren Armut kam Franz als so genanntes „Annehmkind“ auf einen anderen Hof – dort eine billige Arbeitskraft, aber zumindest mit notdürftiger Verpflegung. Man sollte vielmehr von „Weggebkindern“ sprechen, schreibt Goiginger über diese traumatisierende Erfahrung, die er auch ausführlich im Film thematisiert. Das Buch beschreibt nicht nur, wo „Der Fuchs“ als Fiktion von den Fakten abweicht, es dringt auch noch tiefer in diese historisch belegte Zeit der permanenten Existenzangst ein.
„Die Gespräche mit meinem Urgroßvater haben mich sehr dankbar gemacht für die späte Geburt. Und sehr demütig. Wenn man hört, was die Menschen damals durchgemacht haben, wächst das Verständnis für diese Generation“, erinnert sich Goiginger (im Bild) und rät jedem, es ihm gleichzutun: „Nutzt diese Möglichkeit, bevor euch die Zeit davonrennt.
Ich habe es als großes Geschenk empfunden, mit jemandem reden zu können, der 1917 geboren wurde. Man lernt durch die Vergangenheit so viel für die Gegenwart und die Zukunft.“ Von ähnlichen Eindrücken berichtet Darsteller Simon Morzé, der Franz Streitberger im Film spielt: „Ich war zur Vorbereitung auf die Rolle mehrere Monate im Pinzgau und habe mir auch den Original-Hof angesehen. Der Blick in die damaligen Kammern der Kinder war bedrückend. Man konnte die Armut förmlich spüren.“
Adrian Goiginger und Walter Müller: Franz (Verlag Anton Pustet, 2024).
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