Jerusalem. Mehrere Male hat sich Jesus als der Auferstandene seinen Jüngern gezeigt – eine der bekanntesten Begegnungen ist der im Lukas-Evangelium beschriebene Emmausgang mit Kleopas und einem weiteren Jünger. Unter den verschiedenen historischen (Wallfahrts-)Orten, die für sich in Anspruch nehmen, das biblische Emmaus zu sein, kann Emmaus-Nicopolis (zirka 30 Kilometer von Jerusalem entfernt im heutigen Westjordanland gelegen) auf die älteste und wohl auch gewichtigste Ortstradition verweisen.
Der Name Emmaus kommt vom hebräischen Hammath, was „warme Quellen“ bedeutet. Eine in den 1970er-Jahren ausgegrabene römische Badeanlage in Latrun bei Emmaus-Nicopolis weist auf die Thermen der Stadt hin. Schon im zweiten und dritten Jahrhundert leben dort Christen. 325 n. Chr. muss die Stadt bereits Bischofssitz gewesen sein, denn auf dem Konzil von Nizäa im gleichen Jahr wird die Anwesenheit eines Bischofs von Emmaus erwähnt.
Tatsächlich wurden in der byzantinischen Zeit zwei Basiliken errichtet. Nach dem Kirchenvater Hieronymus (347– 420) soll das Haus des Kleopas zu einer Kirche umgewandelt worden sein. Im 12. Jahrhundert bauten die Kreuzfahrer in das Mittelschiff der ursprünglichen Anlage eine einschiffige Kirche.
In den folgenden Jahrhunderten geriet jedoch der Ort allmählich in Vergessenheit. Der bekannte Palästina-Forscher Edward Robinson identifizierte 1852 das untergegangene Emmaus-Nicopolis bei dem Dorf Amwas (die arabische Übersetzung von Emmaus). Das Gleiche bestätigte eine palästinensische Mystikerin, die Karmelitin Mirjam Baouardy: „Das ist wirklich der Ort, wo der Herr nach der Auferstehung mit seinen Jüngern gegessen hat.“ In den Jahren 1924 bis 1930 legt die Jerusalemer Bibelschule „École biblique“ mit systematischen Grabungen die Reste eines römischen Bauwerkes, die beiden byzantinischen Basiliken und die Kreuzfahrerkirche frei.
Durch die Unterstützung des Jerusalemer Bibel-Archäologischen Instituts „Studium Biblicum Franciscanum“ und mit Hunderten von freiwilligen Helfern konnten seit 1993 neue Ausgrabungs-Expeditionen gestartet werden. Während der ersten Saison kamen in der byzantinischen Südbasilika Teile eines Mosaiks mit geometrischen Mustern und christlichen Symbolen zutage.
An manchen Stellen war der Fußboden durchbrochen. Darunter lagen acht Skelette. Sie waren mit dem Gesicht in Richtung Osten begraben, die Arme in Form eines Kreuzes auf der Brust ruhend. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um Mönche – auch wohl durch die Tatsache, dass keine Grabbeigaben gefunden wurden. Ein Test der Gebeine durch die Radiokarbonmethode wies in die Periode zwischen 260 und 420 n. Chr. Das Auffinden von Münzen aus der Zeit von Konstantin dem Großen (307–337) und Kaiser Constantius II. (337–361) deutet in die gleiche Epoche.
Eine Gruppe von Freiwilligen entdeckte in der Südbasilika ein Mosaik mit der Darstellung eines überströmenden Brunnens – daneben ein Kelch, aus dem zwei Vögel trinken, Fragmente von Fischen, eines Bullen und eines Lammkopfes. In der Mitte befand sich eine „Kyrie eleison“-Inschrift, darunter die Genitiv-Form des Namens Titus. Das Mosaik scheint an eine alte Tradition aus dem fünften Jahrhundert zu erinnern, in welcher der Historiker Sozomenos berichtet, Jesus sei einmal während seines öffentlichen Wirkens nach Emmaus gekommen und hätte dort in der Quelle des Ortes seine Füße gewaschen. Seitdem besäße diese Heilkraft für Menschen und Tiere. Doch im vierten Jahrhundert habe der gottlose Kaiser Julian Apostata die Quelle zerstören lassen.
Unter der Südbasilika frei gelegte Mauerreste mit Herodianischen Bossenquadern (auch Buckelquader genannt) weisen auf ein relativ großes, früheres Gebäude hin. Möglicherweise war über diesem „Haus des Kleopas“ später eine byzantinische Kirche errichtet worden. Die Urchristen versammelten sich vornehmlich an solchen Stätten, an denen Jesus gelehrt oder ein Wunder gewirkt hatte und nannten den Ort „domus ecclesiae“ (Hauskirche).
Während weiterer Emmaus-Expeditionen wurde eine unberührte Grabanlage aus der Zeit des Neuen Testaments entdeckt. Darin befand sich eine große Menge „Haushalts-Keramik“. Eventuell diente dieser Teil der Höhle in byzantinischer Zeit als Silo für Wein und Öl. Auf einem der Krüge war der verstümmelte Name Emmaus zu lesen.
Im Innern der Höhle stieß man auf vier Ossuarien (steinerne Gebeinkästen) aus der Zeit von 40 bis 70 nach Christus. Darin befanden sich Öllampen mit dem Christusmonogramm. Die Gebeine stammten von Menschen aus dem ersten Jahrhundert, also von Judenchristen, die vielleicht noch Kleopas gekannt hatten.
In Felsengräbern in einem antiken Steinbruch südlich des Basilikabereichs befanden sich unter den Grabbeigaben ein Armreif und 33 intakte byzantinische Öllampen – ein Zeichen der Glaubenskraft der Christen in Emmaus. Sie besuchten ihre Familiengräber, vor allem wohl in der österlichen Zeit, und zündeten eine Öllampe an – in dem Bewusstsein, dass das Licht Christi allen Menschen leuchten möge (wie es die griechische Umschrift auf einer der Lampen deutlich zum Ausdruck bringt).
Vergangenheit und Gegenwart gehen übrigens fließend ineinander über. Die „Gemeinschaft der Seligpreisungen“ trifft sich jedes Jahr zu einem Ostermontags-Marsch, startend vom „Abendmahlsaal“ in Jerusalem bis nach Emmaus. Die Mitglieder begeben sich damit auf die Spuren des Mensch gewordenen Gottessohnes und feiern mit dem Patriarchen von Jerusalem in den Ruinen der byzantinischen Basilika Eucharistie.
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