Salzburg. „Wenn ich einmal nicht mehr nervös bin vor einem Stadtspaziergang, dann hör‘ ich damit auf“, scherzt Georg Aigner. Der gebürtige Pinzgauer und Verkäufer der Straßenzeitung „Apropos“ bietet diese besonderen Führungen unter dem Titel „Überleben“ bereits seit fünf Jahren an. Unzählige Menschen lauschten schon seiner Lebensgeschichte und noch immer lassen sie sich von seinen Erzählungen berühren. Mitten ins Herz geht auch seine ganz persönliche „Lovestory“ mit Evelyne. Auch sie ist Verkäuferin des „Apropos“ und seit kurzem auch „Stadtspaziergängerin“. Hat sie vorher ihren Georg nur begleitet, macht sie sich nun selbst mutig auf den Weg. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, verraten beide aus einem Mund, wenn sie über den Tag ihres Kennenlernens sprechen.
Mittlerweile sind die beiden 15 Jahre verheiratet. Ihre tiefe Herzensverbindung hat auch gehalten, nachdem Georg für sieben Jahre ins Gefängnis musste: „Wir haben uns täglich Briefe geschrieben, insgesamt waren es zweitausend“, erinnert sich Evelyne. Aber auch von anderen schwierigen Lebensphasen ließ sich das Paar nicht unterkriegen. Nur ein Jahr, nachdem er als Verkäufer begann, hatte er 2018 einen Schlaganfall. „Er ist trotzdem drangeblieben, hat alle möglichen Therapien gemacht und ist nach sechs Montaten wieder auf die Straße gegangen, um bei den Stadtspaziergängen seine Geschichte zu erzählen“, sagt Michaela Gründler, Chefredakteurin des „Apropos“.
Ein Blick in das Leben von Georg und Evelyne Aigner zeigt, dass die beiden trotz aller schlimmen Erlebnisse stets wieder auf die Beine gekommen sind. Spricht sie von der Kindheit in einer Pflegefamilie, von Bewährungsstrafen, von entmutigenden Arbeitserfahrungen, wird ihr Gesicht ernst. Erzählt sie hingegen über ihre Hochzeit, die Begegnungen mit Menschen beim Verkaufen und den Stadtspaziergängen, strahlen ihre Augen.
Auch Michaela Gründler hat allen Grund sich zu freuen. Zum einen, weil sich Evelyne Aigner mit soviel Herzblut bei den Rundgängen „Spurwechsel“ engagiert und zum anderen, weil die Straßenzeitung ein Jubiläum feiert. 25 Jahre „Apropos“ schreiben eine Erfolgsgeschichte. Dass auch aus den Stadtspaziergängen eine solche werden könnte, davon war sie anfangs nicht überzeugt: „Als ich davon hörte, dachte ich zuerst an einen ‚Zooeffekt‘ und ‚Sozialvoyeurismus‘. Doch als ich bei einer Führung dabei war, habe ich meine Vorurteile über Bord geworfen.“ Als Verkäufer Georg Aigner dann auch noch von dieser Idee begeistert war, nahmen die Dinge ihren erfolgreichen Lauf.
„Jede Straßenzeitung hat den Sinn, Armut sichtbar zu machen. Ebenso wichtig ist es, dass wir so unseren Leuten eine sinnvolle Aufgabe geben. Unser Wunsch ist es, dass die Menschen sie nicht nur aus Mitleid kaufen, sondern sie wirkich lesen und entdecken, was für tolle Geschichten wir veröffentlichen. “ Eine davon könnten Evelyne und Georg Aigner schon im kommenden Jahr schreiben. Er möchte sich nämlich eine große Maschine kaufen und mit seiner Frau eine Reise durch Europa machen.
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