RB: Leadership ohne Blabla. Der Titel ist plakativ gewählt. Was verstehen Sie unter Blabla?
Christian Lagger: Ich kann gut mit dem Titel leben. Ich verstehe das „ohne Blabla“ nicht von oben herab. Es bezieht sich darauf, dass wir in unserem Buch keine Managementlehren verkünden oder reine Theorie. Wir haben beide aufgrund unserer Erfahrungen geschrieben.
RB: Leadership ist in aller Munde. Warum sprechen wir von Leadership und nicht von Leitung, Führung oder Management?
Clemens Sedmak: Führen hat im deutschsprachigem Raum eine Konnotation, die wir nicht haben wollten.
Lagger: Management und Leadership sind schon ein Unterschied. Etwas managen erfolgt aufgrund von Zahlen, Daten und Fakten. Da gibt es Lehren und einen eigenen Prozess. Leadership beweisen heißt, in komplexen Situationen Entscheidungen für eine Organisation und für ein Team treffen. Und es heißt, Verantwortungen für Entscheidungen zu übernehmen. Leadership ist also umfassender im Blick auf die Organisation und auf die Mitarbeitenden. Das ist etwas, das in der Person ist, in der Persönlichkeit.
RB: Ist Leadership jedem Menschen gegeben?
Lagger: Nein, das glaube ich nicht. Nach Jahren in verschiedenen Führungspositionen sind mir Menschen begegnet, die glaubten, Führungskräfte sein zu müssen, die aber von sich heraus nicht geeignet waren. Sie meinten, sie könnten es durch Fort- und Weiterbildungen kompensieren. Ich bin etwa zutiefst davon überzeugt, wenn man Menschen nicht mag, kann er oder sie keine Führungskraft sein. Leadership erfordert einen sozialen Rückspiegel.
Ein bestimmtes Fähigkeits-Portfolio lässt sich nicht
beliebig erweitern.
Es braucht die Fachkarriere und die Führungskarriere. Beides ist gut. Den besten IT-ler zum Chef der IT-Abteilung zu machen, kann eine falsche Entscheidung sein, wenn die notwendigen Leadership-Fähgkeiten fehlen. Dann habe ich eine schlechte Führungskraft und den besten Mitarbeiter in der operativen Tätigkeit verloren. Darauf gilt es bei der Entwicklung von Mitarbeitenden zu achten.
RB: Wahrnehmen, Zuhören, Entscheiden. Findet sich im Untertiel des Buches schon die Essenz von Leadership ohne Blabla?
Sedmak: Das sind für uns drei wichtige Aspekte von Leadership. Aber wie gesagt, es hat keinen Lehrbuchcharakter. Oft vermittelt Literatur: Wenn ihr das liest, werdet ihr bessere Leadership-Performer. Das will dieses Buch nicht. Es hängt so viel am Charakter der Person. Wie Christian betont hat, ein bestimmtes „Fähigkeits-Portfolio“ lässt sich nicht beliebig erweitern. Du kannst niemanden bitten, gegen seine Persönlichkeit zu agieren. Die Idee von Leadership ist: Sei die Person, die du bist. Du brauchst dich nicht zu verstellen. Wenn du so tust als wärst du ein anderer, strengt das dich und die anderen an. Manchmal habe ich den Eindruck, es geht in die Richtung Einheitsmodell. Da gibt es Leute, die managen heute eine Schuhfabrik und morgen eine Seifenfabrik und übermorgen wollen sie Universitätsrektor werden. An das glaube ich nicht.
RB: Was kann eine Organisation tun, um gutes Leadership zu fördern?
Sedmak: Es ist zum Beispiel Teil der Führungsverantwortung, für Nachfolger und Nachfolgerinnen zu sorgen. Dabei ist das Bewusstsein wichtig, dass die Verantwortung und die Macht, die du hast, geborgt sind. Das heißt, wachsam sein für jene, die Interesse und Talent zeigen und denen dann größer werdende Kreise von Verantwortung geben.
Lagger: Wobei es heute am Interesse, eine Führungsposition zu übernehmen, mangelt.
RB: Warum ist das so?
Lagger: Ich denke, es geht um die Last der Verantwortung. Das ist eine Form der Lebensqualitätsbelastung, die manche nicht mehr bereit sind zu tragen. Das ist ein Problem, denn gesamtgesellschaftlich fehlt es an Leadern und Leaderinnen. Das merken wir in allen Bereichen, auch in der Politik.
Sedmak: Ich habe einmal mit einem Direktor eines Betriebes über das Thema Verdienst gesprochen. Er meinte, „die Reinigungskraft geht um 17.30 Uhr nach Hause und dann ist es erledigt. Ich bleibe bis 21 Uhr oder länger“. Die Generation, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommt, legt großen Wert auf Work-Life-Balance. Dann ist es nicht so attraktiv zu wissen, es kann sein, dass ich um Mitternacht einen Anruf bekomme und gefordert bin.
Lagger: Das ist die größte Belastung in einer Position mit Ge-samtverantwortung. Man ist immer unter Druck. Das trägt man in die Freizeit, da kann man sich nicht dispensieren und sagen: Das Werk ist getan, der Auftrag oder das Projekt ist abgeschlossen. Wenn ich an Ordensgemeinschaften denke, ist es klug, dass ein Abt oder eine Äbtissin nur für eine bestimmte Periode dieses Amt übernehmen kann.
Sedmak: Ich habe noch einen Gegenakzent anzubieten: Manche Menschen nehmen sich so wichtig, die glauben, es funktioniert nicht ohne sie. Ich bin überzeugt, es geht. Es ist etwas anderes, wenn du Letztverantwortung hast, doch normalerweise läuft der Laden, wenn du die richtigen Leute hast. Und es braucht die Kunst, im richtigen Moment aufzuhören. Loslassen ist eine anspruchsvolle Übung. Der Psychoanalytiker Erik H. Erikson sagt: Reife Menschen sind generativ. Das heißt, sie freuen sich am Blühen anderer. Sie freuen sich am Blühen des Betriebs, wenn sie ausgeschieden sind. Das ist ein Reifezeugnis.
Entscheidungslose Situationen sind eine Seelenqual.
RB: Welche Führungs-Fähigkeiten sind noch wichtig?
Sedmak: Vertrauen schaffen, damit Menschen sich trauen, Kritik zu äußern. Meine Erfahrung ist schon, die kollektive Intelligenz sieht mehr als die einzelne Person. Wobei du nicht alle Entscheidungen delegieren darfst.
Lagger: Der Jesuit P. Stefan Hofer hat einmal gemeint, die Welt leidet nicht an schlechten Entscheidungen, sondern an nicht getroffenen Entscheidungen. Entscheidungen können falsch sein und es kann sein, dass sie revidiert werden müssen. Aber eine entscheidungslose Situation ist Seelenqual und für Mitarbeitende eine schlimme Situation.
RB: Sie kannten sich bereits vor Ihrem Briefwechsel. Hat Sie bei dieser Art der Kommunikation etwas am anderen überrascht? Waren Sie immer einer Meinung?
Lagger: Es war nie ein Konflikt da. Es hat Differenzierungen gegeben. Nach dem letzten Brief war ich im Entzug, weil ich so im Modus war, den nächsten Brief zu schreiben. Ein Satz von Clemens bleibt mir besonders in Erinnerung. „Es ist das Schöne, die Freundschaft und die Stille, die Menschen stärkt.“
Sedmak: Es gibt ja den berühmten Briefwechsel Kardinal Carlo Maria Martini mit Umberto Ecco. In unserem Fall sind wir weltanschaulich einander viel näher als diese beiden Herren. Christian ist an einem Ordenshaus, ich bin an einer katholischen Universität. Es war viel Gemeinsames und das macht etwas aus, bevor du die erste Zeile schreibst.
Erfahrung statt Rezepte
Leadership bedeutet, jemanden an ein Ziel zu führen. Im Buch von Clemens Sedmak und Christian Lagger ist als Beispiel für gutes Führen eine Expedition beschrieben. Konkret geht es um die „Imperial Trans-Antarctic“-Expedition von Ernest Shackleton 1914–1917. Er musste sein ursprüngliches Ziel zugunsten eines bedeutsameren – Leben retten – aufgeben. Wie führst du Menschen an ein Ziel? Das ist eine der Fragen, die sich die Autoren stellen. Sie lassen die Leserinnen und Leser dabei an ihren eigenen Erfahrungen teilhaben.
Selbstkritisches Nachdenken statt Erfolgsrezepten, Führungserfahrungen statt Techniken, Wertefundament statt Führungsregeln? Das bietet das Leadership-Buch „ohne Blabla“. Denn echtes Leadership ist kein Selbstverwirklichungsprogramm, sondern dient einer sinnvollen Sache.
Christian Lagger hat Theologie, Philosophie und Business Administration studiert. Er ist seit 2010 Geschäftsführer beim Ordensklinikum der Elisabethinen und seit 2021 Vorsitzender der ARGE der Ordensspitäler Österreichs. Er lehrt in Graz Managementtheorie, Leadership und strategisches Denken und ist als Führungskräfteberater bekannt.
Clemens Sedmak wirkte als Sozialtheologe am King’s College London und ist Professor für Sozialethik an der University of Notre Dame in den USA. Seine Forschung führte ihn nach Chicago, Nairobi, Manila und Oxford. Er gründete 2005 das Zentrum für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg und engagiert sich außeruniversitär mit Vorträgen.
Beide verbindet die Arbeit im Internationalen Forschungszentrum für soziale und ethische Fragen (ifz) in Salzburg. Seit September 2021 steht Christian Lagger dem ifz als Präsident vor. Clemens Sedmak fungiert als einer der Vizepräsidenten.
Buchtipp: Christian Lagger/Clemens Sedmak, Leadership ohne Blabla – Wahrnehmen, Zuhören, Entscheiden, Molden Verlag 2023, 208 S., 26 €, ISBN 978-3-222-15109-5.
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