RB: Sie sind nicht nur ein großartiger Naturwissenschaftler, Sie machen sich auch viele Gedanken über unser Zusammenleben. Was kann die Gesellschaft von der Wissenschaft lernen?
Anton Zeilinger: Es gibt zuerst einmal Fakten – und diese Fakten sollte man nicht in Frage stellen. Die meisten Menschen in meinem Alter wären ohne Wissenschaft überhaupt nicht mehr am Leben. Das heißt, die moderne Forschung hat viele, viele Leben gerettet. Und auch wenn man heute auf Auto und Transport und so weiter schimpft – das hat unser Leben wirklich erleichtert. Die Gesellschaft sollte wahrnehmen, wie viel die Wissenschaft zu unserem heutigen Leben beigetragen hat.
RB: Stichwort „die Wissenschaft“: Bei den Festspielen bemerkten Sie kritisch: „Ist Wahrheit eine Frage der Mehrheit?“ Selbst Einstein habe Forschung gegen die Mehrheitsmeinung betrieben. Sprechen Sie auch aus eigener Erfahrung?
Zeilinger: Einstein hat nicht gesagt „gegen die Mehrheit“, sondern „unabhängig" von der Mehrheit – das ist ein Unterschied. Der wesentliche Punkt ist die Freiheit des einzelnen Wissenschaftlers. Und natürlich beruht diese Aussage auch auf eigenen Erfahrungen. Am Beginn meiner Forschungen zur Grundlage der Quantenphysik in den 1970er-Jahren haben Leute gesagt: Du vertust deine Zeit. Wir wissen eh alles, warum machst du das? Zum Glück bin ich mit einer Persönlichkeit geboren, die sich davon nicht hat beeinflussen lassen.
Maßnahmen mit klarem Kopf statt Weltuntergangsstimmung
RB: Sie sagen außerdem, es sei Ihnen unheimlich, wenn Menschen behaupten zu wissen, wie die Zukunft in 20 oder 30 Jahren aussieht. Schwingt da Kritik am Alarmismus von radikalen Teilen der Klimabewegung wie der „Letzten Generation“ mit?
Zeilinger: Konkret gemeint ist es nicht so. Das ist einfach eine wissenschaftliche Aussage, dass das nicht geht. Aber zum Alarmismus kann ich auf die Worte vom neuen Chef des Weltklimarates verweisen: Jim Skea sagt, wir müssen mit klarem Kopf Maßnahmen setzen, aber für eine Weltuntergangsstimmung ist eigentlich kein Platz.
RB: Es scheint für Sie keine Tabuthemen zu geben – zum Beispiel, was die Möglichkeiten der umstrittenen Gentechnik im Kampf gegen den Hunger in Afrika anbelangt. Kann man da als Nobelpreisträger mutiger sein?
Zeilinger: Das sind ja alles „falsche“ Tabus. Warum sollte der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ein Tabu sein? Die normale Vieh- oder Pflanzenzucht ist ja auch „Gentechnik“, nur halt nicht besonders geschickt, weil man es nicht steuern kann. Ich sage halt, was ich denke, aber dafür war ich schon vor dem Nobelpreis bekannt.
Einige Naturwissenschaftler haben eine sehr vereinfachte Sicht von Gott
RB: Sie bekennen offen, an Gott zu glauben, und auch der Satz „Es gibt mehr als das Faktische“ stammt von Ihnen. Wie ist das mit der Faktendominanz der Naturwissenschaften vereinbar?
Zeilinger: Nach meiner Beobachtung kommt es vor allem dann zu Konflikten, wenn eine der beiden Seiten die Grenzen ihrer Zuständigkeit überschreitet. Wenn einige Naturwissenschaftler behaupten, die Annahme der Existenz Gottes würde dem widersprechen, was sie naturwissenschaftlich finden, dann ist das eine sehr vereinfachte Sicht von Gott. Wenn man umgekehrt von kirchlicher Seite meint, naturwissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht tragbar – etwa der Kreationismus in einigen Bewegungen – dann ist auch das ein Überschreiten der eigenen Grenze. Wenn diese Grenzen eingehalten werden, gibt es eigentlich keine Möglichkeiten für einen Konflikt.
RB: Welchen Rat würden Sie als renommierter Wissenschafler der jüngeren Generation mitgeben?
Zeilinger: Wenn mich junge Menschen fragen „Soll ich das oder jenes machen?“, dann sage ich immer: Gibt es etwas, das dich begeistert? Was machst du gerne? Dann mach das und lass dich nicht von deiner Umgebung beeinflussen, dass es vielleicht nicht das Richtige ist.
RB: Für den Wunsch nach „mehr persönlicher Interaktion und weniger Computereinsatz“ bekamen sie während der Festspielrede großen Zwischenapplaus. Was meinten Sie damit konkret?
Zeilinger: Für wichtiger als neue Computer halte ich in jeder größeren Stadt ein humanistisches Gymnasium, wo man Griechisch und Latein nicht abwählen kann. Was ich in der jüngeren Generation beobachte: Die Schnelligkeit der Antworten, die ihnen heute der Computer gibt, zwingt sie nicht, darüber wirklich nachzudenken. Das halte ich für ein riesiges Problem der Zukunft und unserer Gesellschaft.
RB: Wird das mit der Künstlichen Intelligenz (KI) noch schlimmer?
Zeilinger: Die KI sollte man nicht Intelligenz nennen, denn sie ist eigentlich sehr dumm – sozusagen das Maximale, was man aus einem dummen System herausholen kann. Die KI sucht ja nur Assoziationen und Querbezüge – und ich glaube, dass Intelligenz weitaus mehr ist.
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