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Im Vorfeld der Salzburger Bioethik-Dialoge sprach das Rupertusblatt mit Dr. Florian Baumgartner. Er ist Mitglied des Salzburger Ärzteforums und nimmt Stellung zu den Themen assistierter Suizid, Recht auf Sterben und das Recht auf Leben. Baumgartner geht auch auf die Rolle der Ärzte ein und die Grenzen einer selbstbestimmten Gesellschaft. RB: Ganz Österreich versucht in der Coronakrise durch verschiedene Maßnahmen Leben zu schützen. Warum aber ist der Schutz des Lebens am Anfang und am Ende nicht mehr selbstverständlich? Florian Baumgartner: Das ist eine Frage der Grundwerte. Es gibt den Konsens: Leistung ist unantastbar. Keiner würde auf die Idee kommen die Lebensberechtigung eines 30-jährigen leistungsbereiten, aktiven und gesunden Menschen in Frage zu stellen. Noch dazu, wenn er brav seine Sozialversicherungsbeiträge zahlt und Sport betreibt. Am Anfang und Ende des Lebens trifft dieses Leistungsprinzip nicht mehr zu. Ein Embryo, ein behindertes Kind oder ein alter Mensch können dieses Prinzip in keinster Weise erfüllen. Im Gegenteil, Medien und Gesellschaft vermitteln subtil, dass diese Menschen scheinbar eine permanente Belastung für die ganze Gesellschaft darstellen: finanziell, personell und für ihre Mitmenschen. Konkret hat es auch mit den Lebensumständen des Einzelnen zu tun. Es stellen sich Fragen am Ende des Lebens: Wie schaut das Lebensende aus? Kann ich mit Leid umgehen? RB: Der Lebensschutz hat es abseits der Leistungsethik und des individuellen Bedürfnisses grundsätzlich schwer. Baumgartner: Eine liberale Einstellung erscheint auf den ersten Blick immer modern. Und modern ist für die meisten immer schon attraktiv. Warum soll man sich das Leben schwerer machen, als es ist? Da hat es ein etablierter – andere sagen – konservativerer Blick auf Gesellschaft und Menschen schon schwerer. Da scheinen Werte wie der Lebensschutz veraltet und nicht mehr adäquat. Und noch ein zweiter Grund: Häufig verstellt eine ideologisch bedingte Sicht den Blick auf die Fakten, sodass Argumente nicht mehr gehört werden. Deshalb versuchen wir vom Ärzteforum mit den Salzburger Bioethik-Dialogen allen Argumenten wirklich auf den Grund zu gehen. Wir wollen, dass Menschen verschiedene Perspektiven hören und dadurch zu einer Entscheidungsgrundlage kommen, damit sie sich eine echte Meinung zu diesem Thema machen. Unsere Gesellschaft wird mehr und mehr geprägt von populistischer Verkürzung. Aber gerade in Fragen von Bioethik, Lebensschutz und Lebensende müssen wir den langen Atem haben, um dem Thema gerecht zu werden. RB: Wie steht das Salzburger Ärzteforum konkret zum assistierten Suizid? Baumgartner: Wir wollen den Blick auf Tatsachen lenken: Einige Vortragende der Bioethik-Dialoge, die nächste Woche in Salzburg stattfinden werden, stammen aus Ländern, in denen assistierter Suizid erlaubt ist. Auf der anderen Seite kommen Referenten zu Wort, die Menschen beim Sterben begleiten. Palliativmediziner berichten häufig: Eine der größten Nöte von Menschen, die ein solches Programm in Erwägung ziehen, ist die Angst vor dem Alleine-Sterben und vor unerträglichem Leid. Die Meinung des Ärzteforums ist klar: Wir stehen für den Schutz des Lebens vom natürlichen Anfang bis zu seinem natürlichen Ende. Es kann nicht Aufgabe von Ärzten sein, das Leben, aus welchen Gründen und in welcher Phase auch immer, zu beenden. Unsere Devise lautet gemäß dem Wort von Kardinal Franz König (Erzbischof von Wien; 1905–2004): Jemand soll an der Hand und nicht durch die Hand eines anderen sterben können. RB: Worüber sprechen wir beim assistierten Suizid im Unterschied zur Euthanasie oder zur passiven Sterbehilfe genau? Baumgartner: Jemand hat den Wunsch nach Selbstmord, kann diesen aber aus verschiedenen Gründen nicht selber begehen. Also bittet er den Arzt, ihm dabei zur Seite zu stehen, zu assistieren. Das geschieht beispielsweise durch die Vorbereitung eines Medikaments, das „professionell“ und sicher zum Tod führt. Euthanasie hingegen ist die bewusste Gabe von lebensbeendenden Medikamenten – aktiv durch den Arzt selbst – bei Patienten mit fehlender Chance auf Heilung. Dieser kann womöglich seinen eigenen Willen nicht mehr äußern und hat vorab den Willen bekundet, unter solchen Umständen nicht mehr leben zu wollen. RB: Wer könnte den assistierten Suizid in Anspruch nehmen? Baumgartner: Prinzipiell jeder. Es gibt Länder – wie etwa Belgien–, in denen nicht nur körperlich schwer Kranke, sondern auch Menschen, die an Depression leiden, assistierten Suizid oder Tötung auf Verlangen in Anspruch nehmen. Das ist natürlich erschreckend, weil sich viele von uns schon mal in solchen Phasen befunden haben, aber wieder herausgekommen sind. Hätte es die Option des assistierten Suizids gegeben, wäre die Situation vielleicht anders ausgegangen. RB: Woher kommt der Druck in die Diskussion, dem Verlangen nach rechtlich legalem selbstbestimmten Sterben nachzukommen? Baumgartner: Das Schlüsselwort ist Autonomie. Im Gesundheitsbereich sprechen wir von Patientenautonomie. Sie erlaubt es zu sagen: Ich möchte eine Therapie nicht oder tun Sie alles, was möglich ist, um mein Leben zu verlängern. Patienten können in einer sogenannten Patientenverfügung festlegen, wie weit die Ärzte mit ihren Therapiemaßnahmen gehen sollen – das ist häufig äußerst hilfreich und sinnvoll. Scheinbar entspricht es aber auch dem Autonomieverständnis des modernen Menschen über das eigene Sterben bestimmen zu wollen: über das Wann, das Wo und das Wie. Schaut man genauer hin, ist der Grund sterben zu wollen, oft ein Gefangensein in Angst und Sorge: Menschen haben Angst vor dem Alleinsein, vor Schmerzen, davor, jemanden zur Last zu fallen oder Kosten zu verursachen. Dann sind die Entscheidungen nicht mehr autonom und selbstbestimmt, sondern durch äußere und innere Faktoren stark beeinflusst. Die Patienten geraten dadurch stark unter Druck. Das ist in Wahrheit jedoch nur noch ein Zerrbild von Selbstbestimmung und Autonomie. Es bedarf einer umfassenden Aufklärung darüber, welche konkreten medizinischen Möglichkeiten es gibt Schmerzen effektiv zu begegnen. Es gilt zu zeigen, was die Palliativ-Medizin eigentlich alles kann, um Linderung zu ermöglichen. Das kann Ängste und Sorgen nehmen. RB: Wie stellt sich die Situation in Österreich nun dar? Baumgartner: Die Gewährung der Klagen durch den Verfassungshof hieße (heißt), dass der Gesetzgeber die Gesetzeslage verändern müsste. Wenn das Urteil der VfGH-Richter zugunsten des assistierten Suizids ausgeht, wäre das ein Dammbruch. Seit der Nachkriegszeit, als Themen wie Euthanasie noch in einem ganz anderen politischen Licht gestanden sind, gab es den breiten Konsens aller Ärzte, dass sie nicht zur Beendigung des Lebens zur Verfügung stehen. Es käme nun zu einer Verschiebung der Grenze, was normal und Konsens ist. Wir alle wissen: Nach einigen Jahren wird die Ausnahme zur Regel. Belgien zeigt uns wie das geht. Hatten vorerst nur organisch schwerkranke ältere Menschen das Recht auf begleiteten Selbstmord, so sind es jetzt auch Kinder und psychisch kranke Menschen. Solche Entwicklungen lassen dann auch das Empfinden für Recht und Unrecht verschwimmen. Der Weg vom Präzedenzfall zum Gewohnheitsrecht ist ein kurzer. Es besteht die Gefahr, dass ein scheinbares Recht auf Tötung etabliert wird und dass die Ärzte sich rechtfertigen müssen, wenn sie dem nicht nachkommen. RB: Was wünschen Sie sich? Baumgartner: Ich wünsche mir für die ganze Ärzteschaft – und vor allem für die Patienten, dass die Tötung eines Menschen durch die Medizin auch weiterhin strafrechtlich verfolgbar bleibt. Wir investieren große Mengen an Geld und Personal in die Suizidprävention. Die Ermöglichung eines assistierten Suizids macht dann ja das ganze Vorhaben und Bemühen umsonst. RB: Lange galt: Anfang und Ende des Lebens sind unverfügbar. Das Leben ist in den entscheidenden Situationen nicht in unseren Händen. Was passiert mit unserem Menschen- und Weltbild, wenn die Politik dieses Prinzip nun ändert? Baumgartner: Die Gesellschaft wird noch mehr Druck aufbauen, dass der Einzelne sich rechtfertigen muss, warum er ist und wie er ist. Bei schlechten Argumenten, die dieses Leben aus Sicht der Mehrheitsmeinung nicht lebenswert machen, wird der Druck größer. Wer hat dabei schlechte Karten? Diejenigen, die den Ansprüchen und Werten einer auf Leistung und Schönheit basierten Gesellschaft vordergründig nicht gerecht werden können. Es braucht für jeden nicht viel, um zu den vermeintlich Schwachen zu gehören. Das ist für den einen die Firmenpleite, die ihn in eine psychisch schwierige Situation bringt. Das kann für den anderen ein Unfall sein, der ihn partiell oder ganz arbeitsunfähig macht. Das kann die Geburt eines behinderten Kindes bedeuten – plötzlich ist man in einer Rechtfertigungssituation. Immer wieder müssen sich Eltern eines behinderten Kindes anhören: „So etwas ist doch heute nicht mehr nötig.“ Die humanitäre und soziale Qualität einer Gesellschaft ist daran zu messen, wie sie mit den Schwächsten, die vom Leben schwer getroffen sind, umgeht. Bioethik-Dialoge vom 9 bis 10. Oktober in Salzburg Das Salzburger Ärzteforum für das Leben veranstaltet vom 9. bis 10. Oktober 2020 im Salzburger Kongresszentrum die ersten Salzburger Bioethik-Dialoge zum Thema „Modernes Sterben – Aufgaben und Grenzen der Medizin am Lebensende“.Der Blick auf die Entwicklung in manchen europäischen Ländern, in denen Euthanasie und assistierter Suizid legalisiert wurden, erfüllt mit Sorge: Wenngleich in Österreich bis heute ein relativ breiter Konsens zum Thema der aktiven Sterbehilfe herrscht, so ist auch hierzulande in den Medien und in der öffentlichen Diskussion der Ruf nach Tötung auf Verlangen vernehmbar. Auch juristische Schritte zum Einklagen eines „Rechtes auf einen selbstbestimmten Tod“ wurden bereits gesetzt. In diesem Zusammenhang ist im Laufe des restlichen Jahres 2020 ein Urteil des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs zum Thema Sterbehilfe zu erwarten.Zu den Vortragenden zählen unter anderem der Jurist und Medizinethiker Rainer Bekmann und der ehemalige deutsche Verfassungshofrichter Udo di Fabio. Anmeldung und Programm auf: www.bioethik-dialoge.at und im Tagungsbüro:Kairos Consultung, 43(0)1.274 9898 oder: office@kairos-pr.com
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