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RB: Die Diskussion über den Klimawandel ist wie bei der Flüchtlingskrise oder Corona emotional aufgeladen. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?
Jan-Heiner Tück: Zum einen erleben wir heute bei vielen Themen eine affektive Polarisierung des Diskurses. Die sozialen Medien belohnen steile Thesen mit einem Plus an Aufmerksamkeit. Zum anderen gab es in diesem Sommer extreme Wetter-Eskapaden: flächendeckende Waldbrände, die kaum unter Kontrolle zu bringen waren, und massive Niederschläge, die zu katastrophalen Überschwemmungen geführt haben. Die Gletscher schrumpfen, die Artenvielfalt geht zurück. Dies alles lässt keinen kalt.
Wir sollten uns fragen, was unser persönlicher Beitrag sein kann.
RB: Worauf sollten Christinnen und Christen achten, wenn sie über Klima, Umweltschutz und Nachhaltigkeit sprechen?
Tück: Ängste sollten sie keine schüren, wohl aber zur Verantwortung mahnen und zu einem ökologieverträglichen Lebensstil einladen. Papst Franziskus hat in seiner Umwelt-Enzyklika Laudato si‘ von der Sorge um das gemeinsame Haus der Erde gesprochen. Uns Menschen ist die Welt als Schöpfung treuhänderisch übergeben worden, nicht dass wir ihre Ressourcen rücksichtslos ausbeuten, sondern dass wir damit verantwortlich umgehen. Daher sollten wir uns fragen, was unser persönlicher Beitrag zum Umweltschutz und zu mehr Klima-Gerechtigkeit sein kann. Die Imperative des Konsumismus sollten wir dabei unterbrechen und neu über eine Kultur des Verzichts nachdenken.
RB: Häufig finden sich moralistisch besetzte Begriffe wie Umweltsünder und Klimahölle in der Debatte. Warum?
Tück: Die Kirche hat in Klimafragen keine besondere Sachkompetenz, sie ist auf die Expertise der Wissenschaft angewiesen. Sie kann jedoch für das Thema sensibilisieren und umweltschädliche Praktiken kritisch anfragen – sowohl systemisch im Blick auf Industrie und Wirtschaft wie auch persönlich im Blick auf das Verhalten des Einzelnen.
Interessant ist die Präsenz theologischen Vokabulars im Klima-Diskurs, das wohl eine Aufmerksamkeitssteigerung hervorrufen soll: Umwelt-„Sünder“ landen in der Klima-„Hölle“. Um dem gegenzusteuern, sollen Industrie-Unternehmen Emissionsgebühren oder Flugreisende einen Umweltaufschlag als „Ablass“ entrichten, um sich ein „reines Gewissen“ zu verschaffen. Die Abgaben sind zu befürworten, aber statt den Klimadiskurs theologisch aufzuladen, würde ich es vorziehen, Begriffe wie Umkehr, Verantwortung und Gerechtigkeit neu ins Zentrum zu rücken.
Schon Hans Jonas hat in seinem Buch „Prinzip Verantwortung“ den ökologischen Imperativ angemahnt: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
RB: Was ist der Auftrag von Kirche in der jetzigen Situation? Wo tut sie das Richtige, wo schießt sie über das Ziel hinaus?
Tück: Der Klimawandel ist ein globales Problem. Die katholische Kirche, die auf allen Kontinenten zu Hause ist, weist darauf hin, dass die Länder des Globalen Südens stärker unter den Folgen des Klimawandels zu leiden haben als die Industrieländer im Norden – und das, obwohl sie an der Verursachung des Problems weniger beteiligt waren. Die Kirche kann mehr Solidarität mit stark betroffenen Regionen und im Sinne der Option für die Armen deren finanzielle Unterstützung einklagen, wie sie das auf der Amazonien-Synode 2019 getan hat.
Für Maßhaltung werben und widersprüchliche Praktiken in Frage stellen.
Weiter hat die Kirche schon immer für eine Kultur der Maßhaltung geworben. Die Erlebnis-Imperative des Tourismus, möglichst viele Länder zu bereisen, darf sie ebenso in Frage stellen wie die widersprüchlichen Praktiken mancher Jugendlicher, die Fridays-for-future-Demos besuchen, aber gleichzeitig Billigflüge nutzen, um ihren Welterkundungsdrang zu befriedigen. Auch hat der Flugverkehr, der in der Pandemie stark rückläufig war, erstaunlich schnell wieder an Fahrt aufgenommen, was ökologisch bedenklich ist.
Kirche schießt dort über das Ziel hinaus, wo sie strategische Allianzen mit der „Letzten Generation“ eingeht und damit rechtswidrige Handlungen wie Attacken auf Kunstwerke, Straßen- und Flughafenblockaden, die nicht nur wirtschaftliche Schäden, sondern auch Menschenleben gefährden, billigt. Die freiheitliche Rechtsordnung bietet hinreichend Instrumente des zivilen Protestes an, man sollte sie nicht leichtfertig zur Disposition stellen. Was wäre, wenn jeder, der mit der Politik unzufrieden ist, auf eigene Faust Störaktionen setzt, um sich Gehör zu verschaffen? Wir würden bald in chaotischen Verhältnissen landen.
RB: Manche feiern ein Requiem für verschwindende Gletscher – eine andere Form, auf das Problem aufmerksam zu machen.
Tück: Ja, solche kreativen Gottesdienst-Formate geben der Ohnmacht, der Trauer und der Wut auf eine halbherzige Politik friedlichen Ausdruck. Das begrüße ich. Ich selbst halte „Requien“ für Gletscher allerdings für theologisch heikel. Requien gelten Personen, deren Namen man dem Gedächtnis Gottes anempfiehlt; sie haben eine österliche Dimension und sind von der Hoffnung geleitet, dass der Verstorbene das ewige Leben bei Gott erlange. Das lässt sich auf „sterbende Gletscher“ nicht übertragen.
RB: Priester als Klimakleber oder Klimaleugner – wie sollen wir damit umgehen? Das Evangelium gibt uns ja keine Anleitung dafür. Ist der Ambo Ort der Klimarettung?
Tück: Priester, die sich als Klimakleber engagieren, identifizieren sich mit Aktivisten, die die Dringlichkeit des Themas durch rechtswidrige Aktionen anmahnen wollen. Bei allem Verständnis für das Anliegen lehne ich diese Form des Protestes ab, da sie die Schädigung anderer in Kauf nimmt. Klimaleugner hingegen ignorieren die Klimaforschung und bleiben damit hinter den Möglichkeiten des Vernunftgebrauchs zurück. Das ist aufklärungsresistent. Der Ambo in der Kirche ist der Ort, das Evangelium in diese Zeit zu übersetzen und die Verantwortung vor Gott, dem Schöpfer, in Erinnerung zu rufen. Das hat Folgen für den Lebensstil. Der Ambo ist aber kein politisches Rednerpult, von dem aus Regeln für ein ökologieverträgliches Handeln erlassen werden – das wäre im Gottesdienst deplatziert.
Es ist entscheidend, wie wir hier und heute handeln.
RB: Es braucht die große Erzählung, um Dinge zu verändern, heißt es. Welche Erzählungen braucht es in der Klimadebatte?
Tück: Die Postmoderne hat das Ende der großen Erzählungen gefordert. Die Kirche steht für eine große heilsgeschichtliche Erzählung, welche Schöpfung, Geschichte und Vollendung umgreift. Fluchtpunkt dieser Erzählung ist „der neue Himmel und die neue Erde“. Darin steckt eine Relativierung. Diese Erde ist nicht alles, aber zugleich ist es entscheidend, wie wir hier und heute handeln. Wir werden erwartet, wir werden gerichtet – und wir sollten mit dieser Erde so umgehen, dass sie auch künftige Generationen als Gäste beherbergen kann.
Jan-Heiner Tück ist katholischer Theologe und Professor an der Uni Wien sowie Mitglied der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz.
dap/ibu/tom
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