RB: Wie ordnen Sie die 2015 veröffentlichte Enzyklika „Laudato si“ ein – sowohl inhaltlich als auch von ihrer Symbolkraft her?
Ernst Fürlinger: Die Religionsgemeinschaften, darunter vor allem der Weltkirchenrat und der Ökumenische Patriarch Demetrios I., haben Ende der 1980er-Jahre zu den ersten Stimmen gehört, die auf die Problematik des Klimawandels aufmerksam gemacht haben – besonders auf den Aspekt der Klimagerechtigkeit, die ethische und moralische Dimension. Demgegenüber hatte die katholische Kirche mit „Laudato si“ zwar Verspätung, aber sie hat dann mit diesem Dokument einen gewichtigen Paukenschlag gesetzt und sich vom Rand der globalen Auseinandersetzung mit der Ökologie direkt in den Kern der Debatte bewegt. So drückte es etwa der irische Theologe Seán McDonagh aus, der wesentlich am Text der Enzyklika mitgearbeitet hat.
RB: Wie muss man sich eigentlich die Entstehung solch einer Enzyklika vorstellen? Ein Heer von Ghostwritern und der Papst segnet es am Ende nur noch ab?
Fürlinger: Franziskus hat sehr früh nach seinem Amtsantritt Kardinal Peter Turkson beauftragt, mit einer Expertengruppe den Text zu erarbeiten. Material dafür stellten dem Papst auch Leonardo Boff und Dom Erwin Kräutler zur Verfügung. Als ihm dann 2014 der erste Textentwurf übergeben wurde, ist etwas sehr Interessantes passiert. Franziskus hat den Text entscheidend umstrukturiert und den ursprünglichen Entwurf mehr oder weniger vom Kopf auf die Füße gestellt.
Es war die dezidierte Absicht des Papstes, dass sich das Dokument nicht nur an die Katholiken richtet, sondern an alle Menschen.
RB: Wie darf man sich das vorstellen und was war der Grund dafür?
Fürlinger: Der Entwurf von „Laudato si“ hat sehr traditionell mit einer langen theologischen, liturgischen und spirituellen Auseinandersetzung begonnen, die primär an die katholische Welt gerichtet war. Papst Franziskus hat stattdessen eine Struktur von „Sehen – Urteilen – Handeln“ vorgeschlagen, wie man sie aus den lateinamerikanischen kirchlichen Dokumenten kennt, und das Kapitel „Was unserem Haus widerfährt“ an den Anfang gesetzt. Erst auf das „Sehen“ und Benennen der Problematik folgen die theologische Reflexion und tiefer gehende Analyse sowie der Lösungsansatz einer ganzheitlichen Ökologie – bis hin zum Kapitel „Ökologische Erziehung und Spiritualität“. Es war die dezidierte Ansicht des Papstes, dass sich das Dokument nicht nur an die Katholiken richtet, sondern an alle Menschen. Weil es in einer derartigen Notsituation alle Kräfte braucht, um diese existenzielle Krise zu bewältigen.
RB: Inhaltlich ist „Laudato si“ ja nicht nur eine Umwelt-, sondern auch eine Sozialenzyklika...
Fürlinger: Genau das ist der Kern, diese ganzheitliche Ökologie, die die soziale und ökologische Problematik zusammen sieht – den „Schrei der Erde und den Schrei der Armen“. Was ist die gemeinsame Wurzel dieser Problematik von Ungleichheit, Armut und Naturzerstörung? Der Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften besteht darin, auf diese Tiefendimension der Problematik und die moralische Dimension der Klimagerechtigkeit aufmerksam zu machen. Auf das technokratische Paradigma, ein Naturverständnis, das die Umwelt nur als Objekt der Ausbeutung von Ressourcen betrachtet, und eine ökonomische Logik, die einzig dem Profit folgt.
RB: Welche Rolle spielt in dieser Betrachtung das neue Schreiben „Laudate Deum“?
Fürlinger: Der Papst hat es offenbar als notwendig erachtet, acht Jahre nach „Laudato si“ die Dringlichkeit dieses globalen Problems zu bekräftigen und eine ökologische Umkehr einzufordern. Er wendet sich gegen eine Relativierung, gegen das Kleinreden und die Leugnung des globalen Klimawandels und betont ausdrücklich, dass auch innerhalb der Kirche unvernünftige Positionen zu beobachten sind.
RB: Auch mit der Teilnahme an der nächsten Weltklimakonferenz Ende November/Anfang Dezember wird Franziskus ein Zeichen setzen.
Fürlinger: Ja. Der Papst fordert eindringlich verbindliche, verpflichtende klimapolitische Maßnahmen, die über die Freiwilligkeit des Pariser Klimaabkommens hinausgehen.
Hintergrund
Ernst Fürlinger, katholischer Theologe und Religionswissenschaftler, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Plattform für Nachhaltige Entwicklung an der Donau-Universität Krems. Seit dem Jahr 2019 engagiert er sich in der Initiative „Religions For Future“.
Gastvortrag „Die Welt neu denken“: Am Montag, 13. November (15.30 Uhr), spricht Ernst Fürlinger an der Paris-Lodron-Universität Salzburg (HS 122) über die Beiträge von „Laudato si“ und „Laudate Deum“ von Papst Franziskus zum internationalen Transformationsdiskurs.
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