RB: Salzburg ist seit 15 Jahren Menschenrechtsstadt. Wie fällt die Bilanz aus?
Barbara Sieberth: Es gibt Entwicklungen, die ich begrüße, es gibt aber Situationen, in denen ich finde die Stadt wird ihrer Verantwortung nicht gerecht. Eine Menschenrechtsstadt muss sich fragen, wo sie sich verbessern kann, damit Menschen sich mit gleichen Rechten und in gleicher Würde entfalten können. Da gab es zu Beginn umfangreiche Bemühungen.Der Runde Tisch Menschenrechte wurde eingerichtet, eine Anti-Diskriminierungsstelle initiiert, Prozesse in der Stadtverwaltung wurden evaluiert und Maßnahmen zur Weiterentwicklung erarbeitet. Heute liegt vieles davon in Schubladen, so meine Einschätzung. Die Anti-Diskriminierungsstelle wurde von den Kapazitäten her um die Hälfte gekürzt. Die Menschenrechtsstadt könnte heuer 15 Jahre feiern, aber niemand tut das. Es hat wenig sichtbare Priorität und das schmerzt.
RB: Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Sieberth: Am Beispiel „Betteln und Notreisende“ kann ich positive und negative Entwicklungen beobachten. Es gibt immer noch ein Bettelverbot. Das erste Bettelverbot entstand, als Salzburg bereits Menschenrechtsstadt war. Es wurde vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, weil es das Recht auf Meinungsfreiheit verletzt hat. Das war eine scharfe Reaktion.Trotzdem hat die Stadt ein neues Bettelverbot erlassen, etwas reduzierter, aber doch. Es gab allerdings parallel Gesprächsrunden, die dazu geführt haben, dass Salzburg eine Notschlafstelle für Notreisende hat und in Sozialarbeit mehr Geld investiert. Das hat die Situation maßgeblich beruhigt und für Notreisende verbessert.
Menschenrechtsstadt: Es geht
um den Schutz der verletzlichsten Bevölkerungsgruppen.
Im aktuellen Salzburger Menschenrechtsbericht dokumentieren wir, in welchen Bereichen wir Verletzungen orten. Da sind die Themen unleistbares Wohnen und Wohnungslosigkeit in Salzburg, verschlechterte Sozialunterstützung, Umgang mit Menschen mit Behinderung aber auch Rassismus vertreten. Fairerweise muss gesagt werden, nicht alle Themen kann eine Stadt alleine regeln. Und es gibt Abteilungen in der Stadt, die in ihren Möglichkeiten an Verbesserungen arbeiten. Aber in der Stadtstruktur als Gesamtes hat die Menschenrechtsstadt sich nur wenig verankern können. Da ginge wirklich noch mehr.
RB: Wer ist von Menschenrechtsverletzungen oder Diskriminierung besonders betroffen?
Sieberth: Auf die Geltung von Menschenrechten können sich alle Menschen berufen, sie gelten für alle. Besonders betroffen von Verletzungen dieser Rechte sind Gruppen, die im Machtgefüge unterlegen sind. Das sind Wohnungslose genauso wie Menschen mit niedrigen Einkommen. Das sind Menschen, die Rassismus täglich erleben, genauso wie Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung Barrieren vorfinden, die nicht sein müssten.
RB: Was wünschen Sie sich, wo ist in der Menschenrechtsstadt Salzburg noch Luft nach oben?
Sieberth: Das ist die strukturelle Arbeit für Gleichheit und gegen Diskriminierung. Das ist der Schutz der verletzlichsten Bevölkerungsgruppen. Das wäre zum Beispiel der Kampf gegen Armut. Das ist der Abbau von Barrieren für Menschen mit Behinderungen, durch sensible Stadtplanung, inklusive Bildung, startend bei der Elementarbildung, barrierefreiem Wohnbau. Da ist auch die Frage, wie eine Stadt, in der rund 25 Prozent der hier Lebenden nicht wählen dürfen, deren Beteiligung trotzdem sicherstellt. Da ist das Recht auf Kultur, das die Vielfalt respektiert. Da ist das Recht auf eine gesunde Umwelt, das betrifft zum Beispiel Erhalt und Umgang mit Grünflächen, Luftqualität, Planung von öffentlichem Verkehr.
Als vorbeugende Mechanismen sieht die Charta eigentlich eine Ombudsstelle vor und die stärkere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern einer Stadt zum Beispiel bei der Planung von Finanzen. Insgesamt: Es gibt noch Spielraum für Verbesserungen.
Hintergrund
Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen zum 75. Mal. „Die Umsetzung dieser Rechte in der Welt bleibt jedoch ein Ringen. Und leider gibt es Menschenrechtsverletzungen tagtäglich, auch in Österreich, auch in Salzburg“, sagt Barbara Sieberth. Sie ist Sprecherin der Plattform für Menschenrechte und blickt speziell auf die Stadt Salzburg, die sich 2008 dazu verpflichtete, den Maßnahmenkatalog zur Umsetzung der „Europäischen Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt“ zu erfüllen.
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