RB: Anlass unseres Gesprächs ist der Welttag der Kranken am 11. Februar. Braucht es solch einen Tag in Ihren Augen überhaupt?
Monika Renz: Der Tag ist eine Chance, an kranke und einsame Menschen zu denken, wie sie jeder von uns kennt. Dass wir uns einfühlen, welche Zuwendung diese Menschen brauchen. Und dankbar daran zu denken: Es ist nicht selbstverständlich, dass wir gesund sind.
RB: Sie sind die Verfasserin einer speziellen Krankenbibel. Welche Rückmeldungen haben Sie dazu bislang bekommen?
Renz: Ich höre von Menschen, dass sie durch diese Bibel die heilsamen großen Linien der Bibel erstmals erkennen. Dass es für einige – vor allem nicht geschulte – Bibelleser die erste Bibel ist, wo sie „dranbleiben“, wo sie auch immer wieder drin lesen. Man wird nicht durch eine Fülle an Nebengeschichten unterbrochen, durch welche die großen Linien etwas verloren gehen. Kranke Menschen lesen in dieser Bibel zum Teil gemeinsam mit ihren Angehörigen.
RB: Sie schreiben im Vorwort, dass in Ihrer Jugend ein wichtiger Zugang das Lesen in einer Kinderbibel war.
Renz: Das war wirklich so und später im Theologiestudium habe ich gemerkt, warum ich von der Kinderbibel so begeistert war. Die wichtigen Stellen, die waren damals alle schon drin. Diese Kinderbibel hat mich persönlich berührt.
RB: Umgekehrt haben Sie uns verraten, dass die Krankenbibel ursprünglich gar nicht so heißen sollte?
Renz: Das stimmt, der Arbeitstitel lautete Altenbibel, weil sie vor allem für die ältere Generation gedacht war. Zur Krankenbibel wurde sie, weil die Texte vielfach Heil- und Heilungserzählungen sind und Hoffnung geben. Letztlich ist es eine Bibel, nicht nur für Kranke, sondern für alle suchenden Menschen, die eben diese heilsamen Linien erkennen möchten. Es gab auch Vorschläge, sie Volksbibel oder Trostbibel zu nennen.
RB: Ihnen ist wichtig, dass die Krankenbibel das Mystische betont. Was meinen Sie damit und wie äußert es sich?
Renz: In den direkten Erfahrungen, die biblische Gestalten immer wieder mit Gott haben. Diese Erfahrungen, von denen die Bibel voll ist, dürfen wir durchaus hören und uns davon bewegen lassen. Ich darf als Bibelleserin „hineingenommen“ werden, es darf etwas mit mir geschehen. Jesus ist wirklich ein Mittler für uns, er kann uns führen. Das ist nicht nur den biblischen Personen widerfahren, das kann auch uns widerfahren.
Die Sprache der Bibel entstand zu einer Zeit, als die Menschen in Bildern dachten.
RB: Es gibt ja die unterschiedlichsten Zugänge zur Bibel, welche sind Ihre?
Renz: Ich sehe dreierlei Zugänge zur Heiligen Schrift: Es gibt Stellen, die muss man als Offenbarung erkennen – da hat Gott gesprochen. Bei anderen Stellen spricht die Theologie vom historisch-kritischen Zugang – diese muss man im Kontext der damaligen Zeit erkennen und vielleicht auch ein Stück weit relativieren. Und dann – das wird in vielen theologischen Diskussionen und Bibelauslegungen vergessen – gibt es noch den tiefenpsychologisch-symbolischen Zugang. Die Sprache der Bibel entstand zu einer Zeit, als die Menschen in Bildern dachten. Das heißt, damals wurden diese Bilder verstanden, aber heute oft nicht mehr. Für mich braucht es alle drei dieser Zugänge.
RB: Jetzt sind Sie ja keine „Schreibtischtäterin“, sondern arbeiten viel in der Praxis mit kranken und sterbenden Menschen. Können Sie dazu ein, zwei Erfahrungen mit uns teilen?
Renz: Gerade heute war ich bei einer Frau mit akuter Leukämie. Es geht ihr sehr schlecht und wir lasen in der Krankenbibel die Geschichte vom Manna, dem Brot, das täglich vom Himmel fällt. Und sie begriff, dass es darum geht, zu vertrauen: Tag um Tag, Stunde um Stunde werde ich genährt. Genau das wollte uns Jesus damit sagen – und das ist ja nun wirklich eine Krankenbotschaft.
Eine andere Frau, an die ich mich erinnere, hat mit ihrer Krankheit und einer schwierigen Familie gerungen. Sie fragte sich, wie sie diese neue Situation annehmen könne –
mit oder ohne Gott. Von ihr stammt der Satz: „Ich habe trotz viel Leid, das mich von Gott abbringen könnte, nichts Besseres gefunden als Gott.“
Monika Renz verfasste Dissertationen in Psychopathologie (Dr. phil.) und Bibelwissenschaften (Dr. theol.). Sie arbeitet als Musik- und Psychotherapeutin sowie als Psychoonkologin am Kantonsspital St. Gallen.
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