RB: Warum ist Reden so wichtig?
Dusica Tepic: Wörter verpuffen nicht einfach so. Sie bewirken etwas. Wenn wir unser Empfinden, vor allem unsere Emotionen, benennen können, fühlen wir uns besser, erleichtert. Jemand Vertrauter, der meine Situation kennt, kann mich besser verstehen, Ratschläge geben, mitfühlen, sich mit mir freuen oder trauern. Gute Freunde sind immer da, wenn sie gebraucht werden, auch in der Nacht oder an Feiertagen.
RB: Wo stoßen Freundinnen und Freunde an ihre Grenzen?
Tepic: Gute Freundinnen und Freunde müssen Grenzen akzeptieren und dürfen ihre eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Erfahrungen nicht in die Situation hineininterpretieren. Objektivität und Ehrlichkeit sind Grundvoraussetzungen. Wenn sie sich selbst in einer Trennungs- oder Burn-out-Situation befinden, können ihre Anregungen nicht zielführend sein. Sie sollten auch zugeben können, wenn sie nicht die richtige Antwort geben können oder wenn die Freundin oder der Freund unrealistische Erwartungen hat. Falsche Ratschläge können enorme Schäden anrichten. Freundinnen und Freunde sind nicht immer objektiv und neutral. Manche bieten aus Solidarität bei zwischenmenschlichen Konflikten Koalitionen gegen andere Personen an. Das ist nicht lösungsfördernd. Natürlich gibt es Freundinnen und Freunde, die sich sehr genau überlegen, was sie sagen. Aber Therapeutinnen und Therapeuten besitzen eine Fülle an Methoden, die gezielt Emotionen wecken und neue Wege aufzeigen können.
Falsche Ratschläge können enorme Schäden anrichten.
Dusica Tepic
RB: Wann ist es besser, eine Therapeutin oder einen Therapeuten aufzusuchen?
Tepic: Freundinnen und Freunde können gut zuhören, einfach nur da sein, ablenken, stabilisieren. Wenn sie aber merken, dass es mehr braucht, dürfen sie das auch sagen. Die objektive Hilfe und gezielte Methoden einer Therapeutin oder eines Therapeuten sind sinnvoll, wenn eine Person immer wieder ambivalent denkt, unsicher ist, in welche Richtung eine Entscheidung gehen soll. Und vor allem wenn es um persönliche Grenzen und Werte geht oder die Person nicht mehr in einer Beziehung zu sich selbst ist.
RB: Was machen Therapeutinnen und Therapeuten anders als Freundinnen und Freunde?
Tepic: In meiner Arbeit betrachte ich vorerst das gesamte System, die Ursachen der Problematik und den bisherigen Hergang. Aufgrund dessen wähle ich adäquate Methoden aus, die besprochen werden, damit sie die betroffene Person umsetzen kann. Therapeuten oder Beraterinnen zeigen vorhandene Möglichkeiten und Wege auf. Die Klientinnen und Klienten müssen den Weg aber selbst gehen.
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