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Wie vor 2000 Jahren finden auch heute Menschen keine Unterkunft. Die Wohnung und Existenz zu verlieren geht manchmal sehr schnell. Michaela Troger hatte ein Haus, arbeitete, lebte einen Alltag wie viele andere. Familiäre Konflikte und gesundheitliche Probleme setzten eine Abwärtsspirale in Gang. „Es kam ein Schlag nach dem anderen. Irgendwann hatte ich keine Kraft mehr“, erzählt die 47-Jährige. Und eines Tages stand sie vor der Frage: Wo soll ich hin? Michaela Troger steht vor dem Christbaum. Das Kerzenlicht flackert. Sie hält ihren Buben im Arm. Er versucht eine der Flammen auszupusten. Es gelingt ihm nicht. „Ich erinnere mich gerne an die Weihnachten als er noch klein war.“ Dieses Fest ist sie nicht mit ihrem Sohn zusammen, auch das Enkelkind ist weit weg. Zu vieles ist schiefgelaufen in der Familie. Weihnachtsfriede stellte sich trotz ihrer Annäherungsversuche – „ich hab eine Karte geschickt“ – keiner ein. „Vielleicht ist im nächsten Jahr wieder alles gut“, formuliert sie ihren Herzenswunsch. Leeres Hotel sinnvoll nützen Den Heiligen Abend verbringt die Salzburgerin in einem Hostel. Das „Wolfgang‘s managed by a&o“ in Bahnhofsnähe ist seit kurzem Standort einer 24-Stunden-Unterbringung der Caritas. Für Wolfgang‘s-Mitarbeiterin Christina Kaiser ist das eine gute Nachricht inmitten dieser für die Tourismusbranche so schwierigen Zeit: „Wir freuen uns über die Kooperation mit der Caritas und diese alternative Nutzung. Es macht einfach Sinn, unsere Zimmer anzubieten. Den obdachlosen Menschen ist geholfen, weil sie ein Dach über dem Kopf haben und unsere Leute sind motiviert, weil sich etwas tut.“ Die meisten Hotels sind seit Monaten verwaist. Im Wolfgang‘s dagegen herrscht reges Treiben. Die Bewohner können hier den ganzen Tag im Warmen sein – im Gegensatz zu anderen Notschlafstellen. Niemand muss in die Kälte Janko Gojkic leitet das neue Obdachlosenquartier. Er weiß: „Der Winter ist die härteste Zeit. Da schmerzt es, wenn wir Menschen morgens wieder auf die Straße schicken müssen. Nun brauchen sie nicht mehr in die Kälte raus. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.“ Dem stimmt seine Kollegin Katrin Fuchs zu. „Die Leute kommen zur Ruhe, sind weniger gestresst. Wir können sie intensiver begleiten. Außerdem ist die Sozialberatung gleich um die Ecke. Das ist ideal.“ Ein junger Mann, der im Caritas-Wohnen „eingecheckt“ hat, sagt: „Ich brauche jetzt keinen Alkohol mehr zum Runterkommen.“ Seine Mutter bestätigte der Sozialarbeiterin in einem Telefonat: „Ich habe ihn schon lange nicht mehr so glücklich gesehen.“ Im Haus selbst sei der Konsum ohnehin nicht erlaubt, „aber wenn die Leute draußen unterwegs sind, können und wollen wir sie natürlich nicht kontrollieren“, erklärt Fuchs. Weihnachtspackerl sind bereit Derzeit sind in Salzburg rund 110 Menschen obdachlos. Die bisherigen Notschlafstellen waren nur für Übernachtungen ausgerichtet und die mussten aufgrund der Corona-Maßnahmen reduziert werden. Am zusätzlichen Standort in der Fanny-von-Lehnert-Straße können 43 Männer und Frauen in Zweibett-Zimmern bis zumindest 31. März wohnen. Weitere 40 Bedürftige finden im Haus Franziskus und 13 im Haus Elisabeth Schlafplätze. Sollte es Covid-Fälle mit leichtem Krankheitsverlauf geben, stehen im Wolfgang‘s mehrere Quarantänezimmer zur Verfügung. „Bisher haben wir sie nicht gebraucht. Das Rote Kreuz war zum freiwilligen Testen da – alle Ergebnisse waren negativ“, berichtet Gojkic. Den Festtagen sieht der Leiter gelassen entgegen. Schade sei, dass es kein Feiern in der Gruppe geben könne, doch Packerl für jede und jeden seien schon hergerichtet. Janko Gojkic spricht sehr wertschätzend von „seiner“ Hausgemeinschaft. „Die sind halt faul – dieses Vorurteil ist noch weit verbreitet. Es stimmt nicht wie zahlreiche Beispiele zeigen. Schicksalsschläge, Krankheiten oder Jobverlust können zu Obdachlosigkeit führen. Das kann schnell gehen.“ Virgilbus-Crew arbeitet wieder Neben den Notschlafstellen ist seit sechs Jahren der Virgilbus eine wichtige Anlaufstelle für Obdachlose und Armutsmigranten. Für Menschen, die aus Scham oder aufgrund einer fehlenden Versicherung keine Ordination besuchen können oder möchten, stand die Tür des Virgilbusses offen. Covid-19 brachte die rollende Arztpraxis im März zum Stillstand. Es fehlte an coonagerechter Ausrüstung und etliche (ältere) Ärzte durften nicht mehr ehrenamtlich tätig sein. Initiator Sebas-tian Huber, Caritas und Diakonie arbeiteten intensiv an der Wiederaufnahme und den notwendigen Schutzmaßnahmen für Patienten, Ärzte, Dolmetscher und Sanitäter. „Sehr dankbar sind wir der Firma Novogenia aus Eugendorf, die kostenlos jeden Sonntag Antigen-Schnelltests durchführt“, sagt Huber, Mediziner, NEOS-Politiker und zweiter Landtagspräsident. Seit November ist der Virgilbus wieder im Einsatz. Alle drei Rettungsorganisationen – Rotes Kreuz, Samariterbund, Malteser Hospitaldienst – sind mit dabei. Doch eine Änderung war notwendig, da der Bus einfach zu eng ist – während der Coronapandemie eine entscheidende Hürde. Die Caritas organisierte die Cafeteria in der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) als Behandlungsraum. „Der Ort ist perfekt: er ist groß, lüften geht problemlos und die zentrale Lage macht ihn gut erreichbar für die Menschen“, freut sich Huber. Vorsätze für‘s neue Jahr Noch einmal Schauplatzwechsel zurück ins Wolfgang‘s. Michaela Troger meint, sie lässt die Weihnachtsfeiertage einfach auf sich zukommen. Vielleicht spielt sie mit ein paar Bekannten im Speisesaal Mensch ärgere dich nicht. Das Abstandhalten müssten sie da natürlich einhalten. „Darauf achte ich“, unterstreicht die gelernte Köchin, die im neuen Jahr Ausschau nach einer Arbeit und Wohnung halten will. Und Zeit nehme sie sich bestimmt weiter für einen afghanischen Bewohner. „Ich lerne mit ihm Deutsch. Ich hab ja nicht so viel zu tun. Wenn ich jemandem helfen kann, sind es keine vertanen Stunden.“
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