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Salzburg. Die diesjährigen Salzburger Hochschulwochen stellten die „Vertrauensfrage“. Aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchteten Expertinnen und Experten das Veranstaltungsmotto „Fragiles Vertrauen“ – von den Fachbereichen der Philosophie und Theologie bis zur Natur- und Sozialwissenschaft. Da überraschte es nicht, dass beim dazugehörigen Sommerfest im Bischofshaus auch Erzbischof Franz Lackner eine sehr persönliche Frage gestellt wurde: ob er denn nicht manchmal das Vertrauen in die eigene Kirche verliere?
„Ja, doch, das kommt vor“, gestand der Erzbischof freimütig. Aber die Enttäuschung reiche nie so tief, dass sie die Festigkeit seiner eigenen Berufung erreiche. „Die Fehler, die ich sehe, haben mich nie so tief erschüttert, dass ich sage: Ich trete aus“, sagte Lackner zunächst zur Erheiterung der Gäste, um sogleich wieder der Ernsthaftigkeit des Themas gerecht zu werden. Gewiss wünsche er sich oft eine Kirche, „die besser ist, die gerechter ist“, aber er sehe trotz aller Fehler immer das viele Gute, das Kirche bringe. Schon bei der Eröffnungsfeier wenige Tage zuvor hatte der Salzburger Erzbischof betont: „Die Kirche steht immer wieder neu vor der Aufgabe, zu einem ,Ort des Vertrauens‘ zu werden.“
Unter den Referenten plädierte der evangelische Theologe Thorsten Dietz für „kritikfähiges statt blindes“ Vertrauen: „Wir sollten der Sehnsucht nach umfassenden Vertrauensverhältnissen misstrauisch gegenüberstehen. Es ist das Besondere an der Demokratie wie an den Wissenschaften, dass sie letztlich darauf angelegt sind, Vertrauen zu erwerben durch eine Kultur permanenter Kritikfähigkeit. Nicht das Misstrauen ist problematisch, sondern seine Totalisierung.“
Vertrauen im Kontext der christlichen Kirchen sei gewiss eine schwierige Sache: „Als Kirche haben wir viel Erfahrung damit, Vertrauen aufzubauen, aber auch, es zu missbrauchen und zu verlieren“, so Dietz in seinem Votragsthema „Gründe und Abgründe des Vertrauens“. Aus christlicher Sicht habe der Glaube an die Auferstehung einen vertrauensstärkenden Charakter: „Die Versöhnung, die Gott im Tode Jesu anbietet, ist für mich eine große Erzählung davon, dass es selbst im absoluten Nullpunkt, dem Tod, noch Neuanfänge des Vertrauens geben kann.“
Für mehr Vertrauen in die Naturwissenschaften angesichts der Auswirkungen des Klimawandels warb die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. Der Schweizer Philosoph Martin Hartmann stellte daran anschließend die Frage in den Raum: „Wie gelingt die Gratwanderung zwischen destruktiver Skepsis und einem notwendigen Maß an Zweifel und Kritik in der Wissenschaft?“
Wie gelingt die Gratwanderung zwischen destruktiver Skepsis und dem notwendigen Maß an Zweifel und Kritik?
Die Antwort: Durch sachorientierten Diskurs, der dem Gegenüber auch die Möglichkeit einräumt, Recht zu haben. Hintergrund war die oft destruktive Form der Skepsis gegenüber dem Wissenschaftsbetrieb, etwa im Zuge der Corona-Pandemie.
Einblicke in den rasanten Wandel der Medienwelt und des öffentlichen Diskurses unter dem Einfluss digitaler Kommunikation bot der Journalist Georg Renner. Klassischer Journalismus habe keine „Gatekeeper-Funktion“ mehr – potenziell sei heute jeder Mediennutzer immer auch Sender und Informationsverbreiter. Diese Entwicklung trage die Gefahr eines Vertrauensverlustes in den Wert öffentlicher Diskurse in sich (Fake News). Renner empfiehlt als Gegenmittel mutige Formen der Regulierung – etwa im Blick auf die Macht von Algorithmen – eine Sicherstellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und eine Förderung kritischen individuellen Mediennutzungsverhaltens.
Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle hatte zum Thema Vertrauen bereits die Nationalratswahl Ende September im Blick. Sie warnte Politikerinnen und Politiker sowie die wahlwerbenden Parteien davor, im laufenden Wahlkampf „nicht zu viel Porzellan zu zerschlagen“. Wo der andere permanent diskreditiert und niedergemacht wird, werde mittelfristig auch jenes Vertrauen zerstört, das es braucht, um nach einer Wahl konstruktiv zusammenzuarbeiten.
Einen wesentlichen Grund für den allgemeinen Vertrauensverlust sieht der renommierte Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller im Zuwachs des Narzissmus. Zwar brauche es ein „gesundes Maß an Selbstliebe“, er sehe jedoch eine Zunahme von Formen eines überzogenen Narzissmus. Wo Liebe, Vertrauen, Wertschätzung, Anerkennung, Respekt, Aufmerksamkeit und Toleranz fehlen, komme es zu Störungen bis hin zu für die Allgemeinheit gefährlichen Charakteren – einer Mischung aus Egozentrik, Eigensucht, einem Höchstmaß an persönlicher Empfindlichkeit, einem Empathiemangel und dem Bedürfnis, den anderen zu entwerten und herabzuwürdigen.
Der finale Festvortrag der Berliner Soziologin Jutta Allmendinger war schließlich ein Plädoyer für ein Mehr an gesellschaftlichem Vertrauen und zugleich einem Weniger an Kontrolle. Auf den Punkt gebracht: Ohne Vertrauen geht gar nichts. Die gute Nachricht im Blick auf den auch von ihr beschriebenen Vertrauensverlust, ist eine Mutbotschaft. „Wir sind keine Opfer des Vertrauensverlusts, sondern Agenten und Agentinnen, die Vertrauen wieder herstellen können.“ Es brauche dafür die Begegnung von Menschen, öffentliche Orte zur Überschreitung des jeweils eigenen Milieus. Viele dieser notwendigen Räume und zivilgesellschaftlichen Institutionen wie Vereine seien verloren gegangen – zugleich sei das Vertrauen untereinander und in die Demokratie einem Mehr an Kontrolle und Regulierung gewichen. Sie hoffe in diesem Kontext, dass auch die Kirchen künftig Vertrauen zurückgewinnen können, „denn wir brauchen sie dringend“. Die Hoffnung der Wissenschaftlerin: „Langsam gibt es eine Umkehr, in der wir das Wohl des Gemeinsamen wieder entdecken.“
Zwei Ausblicke
Die Hochschulwochen-Festpredigt im Dom hielt der Rotterdamer Bischof Hans van den Hende. Er sprach über Vertrauen als biblische Kategorie. Ein Interview mit Bischof van den Hende über Vertrauen und die Kirche in den Niederlanden folgt in einer der nächsten Rupertusblatt-Ausgaben.
Zum Ende des Festaktes verkündete Erzbischof Lackner das Thema für nächstes Jahr. Die Hochschulwochen vom 4. bis 10. August 2025 widmen sich dem Thema „Was uns leben lässt ... und was uns (vielleicht) vergiftet“.
Hans-Joachim Höhn für Lebenswerk gewürdigt
Der deutsche Theologe und Religionsphilosoph Hans-Joachim Höhn ist mit dem „Theologischen Preis“ der Salzburger Hochschulwochen für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden. Höhn sei „eine der prägenden Stimmen zeitgenössischer katholischer Theologie“ und zugleich „ein engagierter Anwalt für eine vernunftgemäße Rede von Gott“, hieß es in der Jury-Begründung. „Wer wissen will, wie eine Frage theologisch auf der Höhe der Zeit und der Vernunft adressiert werden kann, ist in Höhns Schriften immer gut aufgehoben.“
Der Frankfurter Religionsphilosoph Thomas M. Schmidt nannte den Preisträger in seiner Laudatio einen brillanten Denker, der sich stets um eine Synthese von Theologie und Philosophie bemühe. Höhn schaffe es, „in seinen Arbeiten gegenüber den Glaubenden die Sache der Vernunft und gegenüber der Vernunft die Sache des Glaubens zu vertreten“. Bis 2023 hatte der Geehrte den Lehrstuhl für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Köln inne. Er hat mehr als 20 Monografien publiziert. Zuletzt erschien das Werk „In Gottes Ohr. Von der Kunst poetischer Gottesrede“ (2022).
Favoriten des Publikums
Der Publikumspreis – ein mit 1.000 Euro dotierter Förderpreis für den Nachwuchs – ging an Hannah Ringel. In ihrem Siegervortrag „The Imitation Game“ zeigte die Freiburger Theologin auf, wie stark die Beziehung zwischen Mensch und Maschine in Zeiten von Künstlicher Intelligenz zu einer Frage des Vertrauens wird. Demselben Themenkomplex war der Vortrag des zweitplatzierten Grazers Dominik Freinhofer gewidmet – mit einem Schwerpunkt auf der Fehleranfälligkeit aktueller KI- und Sprachsysteme wie ChatGPT. Vom sensiblen Feld des jüdisch-christlichen Dialogs und der Bedeutung des Vertrauens handelte der Vortrag der drittplatzierten Salzburger Theologin Andrea Maria Schmuck.
kap/ibu/tom
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