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Die wegen Covid-19 gebotene Distanz quält Alte, Kranke, Angehörige. Was die Pandemie mit dem Kummer gemacht hat – und wie eine Bestattungsunternehmerin auf die neuen Herausforderungen reagiert. Umarmen, Handhalten, Tränen wegwischen: Der Tod bringt Hinterbliebene nah zusammen. Normalerweise. Doch das Coronavirus hat selbst Sterben und Trauern verändert. Gesten, die sonst Kraft spenden, kommen aus Vorsicht zögerlich – oder gar nicht mehr. Wenn Angehörige von Verstorbenen bei Claudia Jung sitzen, erlebt die Salzburger Bestattungsunternehmerin noch mehr Unsicherheit, als die Situation ohnehin mit sich bringt. „Die Nähelosigkeit versetzt viele in Verzweiflung. Wer zu uns muss, leidet an einem riesigen Schmerz und ist zusätzlich verunsichert, wenn es um Berührungen geht. Dabei täten die so gut.“ Doch nicht einmal bei Sterbefällen dürfen Abstands- und Hygieneregeln ignoriert werden, um Ansteckungen mit dem Virus zu vermeiden und niemanden zu gefährden. Auch Jungs Umgang mit Angehörigen ist heute anders als vor einem Jahr: „Eigentlich trösten auch wir, wenn Leute das brauchen. Wir gehen in unserem Job auf sie zu.“ Derzeit sei es außerdem schwer, Bedürfnisse zu erkennen. Durch notwendige Masken sei nur ein Drittel des Gesichts sichtbar. „Da lesen wir kaum ab, ob unsere Vorschläge rund um eine Bestattung für jemanden stimmig sind, ob sie gut passen.“ Bei Trauergesprächen habe man Plexiglaswände zwischen sich. Das alles schaffe körperliche Distanz, die aber vieles nicht zulasse. Anstieg der Todesfälle stark spürbar Zehn Prozent mehr Todesfälle gab es 2020 in ganz Österreich – diese Zahl veröffentlichte die Statistik Austria kürzlich. „Den Anstieg spüren wir. Vor allem im Oktober und November gab es deutlich mehr Todesfälle zu betreuen bei uns“, bestätigt Claudia Jung. „Als Bestatter sind wir Dank unserer Erfahrung auf gewisse Hoch-Zeiten eingestellt. Zum Beispiel während der Influenza-Saison oder bei starken Wetterumschwüngen. In letzter Zeit gab es aber kaum Ruhephasen, in denen weniger zu tun war. Es ist eine große Herausforderung, so ein Pensum über eine lange Zeit zu bewältigen.“Freilich habe das Virus Einfluss auf das Handwerk. „Wir fahren extrem hohe Schutzmaßnahmen auf, wenn wir Verstorbene abholen, die mit oder an Covid gestorben sind. Das bedeutet: Schutzanzüge, Atemschutz und einen noch vorsichtigeren Umgang mit den Verstorbenen beim Heben und Tragen“, sagt Jung. Auch auf dem Weg zur letzten Ruhe sei nun ein Umdenken angesagt; immerhin könnten durch das Bewegen eines Verstorbenen Aerosole oder Flüssigkeiten austreten, die infektiöse Viren enthalten. Statt Tote in ihrem Lieblingsgewand zu bestatten, greife man nun auf schlichte, lange, weiße Totenkleider zurück, zum Schutz der Bestattungs-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter. Auf die Frage nach der Furcht antwortet die Salzburgerin: „Eine Grundangst spüren wir natürlich alle bei der Arbeit. Niemand will das Virus in die Firma bringen. Und niemand will es von dort nach Hause zu seiner Familie nehmen.“ Alternative: Trauerfeier am Bildschirm Fünf, zehn, dreißig – seit der Pandemie ist stets klar vorgegeben, wie viele Gäste bei Trauerfeier und Bestattung höchstens dabei sein dürfen. Derzeit sind es 50 Menschen, die gestattet sind. Damit alle um eine oder einen Verstorbenen trauern können, sind Claudia Jung und ihr Team kreativ geworden – im Rahmen des Möglichen eben. So sieht sie eine mehrtägige Aufbahrung als Chance für viele, der Reihe nach Abschied zu nehmen. Dabei sei es leicht, gebotenen Mindestabstand einzuhalten, wenn man vor den verschlossenem Sarg trete, mit Blumen rundherum und Musik im Hintergrund. Einen großen Stellenwert habe Streaming bekommen, also Übertragungen über Kameras auf Bildschirme. Mehr und mehr Trauergäste kämen in jene Altersgruppen, die mit neuen Medien etwas anfangen können. Mittels Technik gelange eine Feier zum Abschied zu Personen, die weit weg seien, krank oder in Quarantäne. „Meine Kollegen von anderen Bestattungsunternehmen und wir versuchen alles, um Nähe und Teilhabe zu ermöglichen. Da gehen uns die Ideen nicht aus. Es muss niemand Angst haben, Coronaverstorbene nicht verabschieden zu können“, sagt Jung abschließend. Michaela Hessenberger
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