Dem Sterben einen Platz im Leben geben, fällt den Menschen nach wie vor schwer. Ist der Tod ein Tabu? Für Elisabeth Hager-Jung nicht. „Aber allgemein wird noch sehr viel verdrängt.“ Hager-Jung ist eine von drei Schwestern, die in 5. Generation den Familienbetrieb „Bestattung Jung“ in der Stadt Salzburg führen. Das Rupertusblatt hat sie zum Gespräch mit dem Salzburger Stadtpfarrer und Dechant Alois Dürlinger gebeten. Beide kennen sich gut und plädieren dafür, das Sterben nicht zu anonymisieren und ermutigen, sich für Abschied wie für Trauer Zeit zu lassen.
RB: Ein Sprichwort besagt „Arm oder reich, der Tod macht alle gleich.“ Stimmt das?
Elisabeth Hager-Jung: Es ist so. Nur das Bewusstsein, dass es wirklich so ist, ist nicht immer da. Nicht so selten glaubt man – die Angehörigen – selbst in diesem Moment muss noch etwas Großes bewerkstelligt werden. Die Erkenntnis, dass der letzte Weg wirklich ein stiller ist, kommt manchmal später, bei einigen nie. Es liegt nicht mehr in unserer, es liegt in einer anderen Hand. Das finde ich heilsam. Das erleichtert es für mich auch, in diesem Beruf zu arbeiten.
RB: Es ist ein Weg, den wir alle gehen müssen.
Hager-Jung: Genau. Es braucht jeder die gleiche Pietät und Behutsamkeit. Da ist es egal, ob das ein guter Mensch war, ein vitaler oder ein lauter Mensch. Jeder Verstorbene braucht unsere Hilfe. Jeder, der bei uns in der Tür hereinkommt, braucht Hilfe. Wir sind für alle da. Das ist unser Auftrag und unser Dienst. Das ist jetzt nicht nur so dahergesagt. Das ist mit ein Grund, warum man diesen Beruf lange, gern und gut machen kann.
In den Gesprächen mit den Angehörigen tut sich unheimlich viel. Wir kennen durch sie die „Geschichte“ oft nur von einer Seite. Und wie wir wissen, jede Geschichte hat zwei Seiten. Der Verstorbene kann uns seine Geschichte nicht erzählen. Wir hören den Angehörigen zu, wissend, an mir ist es jetzt nicht zu bewerten. Ich denke mir dann, zum Glück gibt es einen anderen Richter. Ich möchte es nicht sein. Wir haben einen Auftrag und der ist für mich und unser Team klar. Es ist ein stiller Dienst an den Lebenden und zur Ehre der Verstorbenen. Dieser Satz ist übrigens nicht von mir. Das hat mein Großvater schon immer gesagt.
Alois Dürlinger: Ich möchte auf die Einstiegsfrage zurückkommen. Im Tod sind die Toten alle gleich. Das stimmt. Die Angehörigen und die Hintergründe der Lebenden sind grundverschieden. In den Trauerge-sprächen und in der Begleitung sind uns keine Gemütslage und keine Regung fremd. Doch eines haben dann doch alle gemeinsam, das im Augenblick des Todes noch einmal klarer heraussticht. Sie brauchen alle ehrliche Zuwendung. Die Trauergespräche brauchen Zeit. Es liegt sowieso schon viel Druck in der Luft. Ich sage immer: Wir können nirgends so viel gut machen in unserer Arbeit wie rund um ein Begräbnis. Und wir können nirgends so große Fehler machen und danebengreifen. Es ist nicht nur eine Berufspflicht, es ist eine ethische Pflicht, den Menschen in diesen Ausnahmesituationen bestmöglich beizustehen.
Hager-Jung: Und die Gesellschaft braucht das mehr denn je. Viele leben immer isolierter. Das tut uns Menschen nicht gut. Wir brauchen eine Gemeinschaft, wir brauchen ein Umfeld. Wenn die Familie zu uns kommt, steht sie am Anfang eines Trauerwegs und der muss, wie die Trauerfeier gestaltet werden. Es wurde die Zeit angesprochen. Ich möchte das ergänzen: „Gib mir Raum, gib mir Zeit.“ Das ist wie ein Motto für uns. Beides ist so wichtig für die Trauer und beides versuchen wir zu geben. Was dagegen arbeitet, ist die Angst. Oft hören wir von den Angehörigen, wenn sie uns anrufen, Folgendes: „Ich möchte nicht mehr in den Raum hineingehen. Bitte holt den Leichnam schnell ab. Wieso dauert das so lange?“ Ich antworte dann: Sie müssen nichts organisieren. Wir wissen jetzt Bescheid. Gehen Sie in das Zimmer hinein. Nehmen Sie sich die Zeit. Das ist so wertvoll.
Den Weg der Trauer müssen wir alle einmal gehen. Ihn abzukürzen, tut nicht gut.
RB: Hat die Angst, die Sie beschreiben, auch damit zu tun, dass wir den Tod verdrängen?
Dürlinger: Es wird schon oft sehr diskret und abwesend gestorben. Das Einmaleins der Psychologie sagt, ein gesehenes Bild heilt leichter als ein vorgestelltes. Die Bilder in unserem Kopf sind meist dramatischer als die Wirklichkeit. Es gab einen Fall, da hat es jemand nicht geschafft, den Verstorbenen anzuschauen. Nach dem Begräbnis fragte er: „Ist er überhaupt tot? Ist er überhaupt da drinnen im Grab?“ Das war die Folge von nicht gemachter Erfahrung. Bei uns in der Familie werden die Verstorbenen, wenn es geht, daheim aufgebahrt. Diese Tage sind so kostbar.
RB: Gibt es bei der Bestattung Unterschiede zwischen Stadt und Land?
Dürlinger: Es gibt schon noch Unterschiede. Doch Stadt und Land nähern sich an. Als Einschnitt benennen Kollegen in den Landgemeinden die Corona-Zeit. Damals war manches nicht möglich und danach hieß es: Wir bleiben bei dieser reduzierten Form. Wir „vereinfachen“ etwas, in der irrigen Meinung uns damit etwas zu ersparen. Aber dem Weg der Trauer kann niemand entgehen. Wenn ich hier eine Abkürzung nehmen will, tut mir das nicht gut.
Hager-Jung: Die Gesellschaft anonymisiert Menschen. Sie drängt Themen weg, weil wir glauben, dann belasten sie uns nicht. Dabei bräuchte es diesen Raum dafür.
Dürlinger: Es gibt einen Spruch, mir fällt der Wortlaut nicht mehr genau ein, aber er besagt: Die Kultur rund um Tod und Bestattung spiegelt die Kultur des Lebens wider. Das kann ich unterstreichen. Wir erleben Begräbnisse, da ist fast niemand da, obwohl es Familie und Verwandte gebe.
Hager-Jung: Ich erinnere mich an ein Begräbnis, da meinte die Witwe: Warten wir, es muss noch jemand kommen. Nach einer Weile hat sie mich gebeten, dass ich neben ihr in der Aussegnungshalle Platz nehme. Da sind mir die Tränen gekommen. Wobei ich betonen möchte, eine große Feier bedeutet nicht, das ist ein guter Abschied und eine kleine Feier ist nicht automatisch ein schlechter Abschied. Es geht darum, noch einmal etwas von Leben aufleuchten zu lassen. Noch einmal. Und wie es bei Lichtern ist, das eine kommt als kleine flackernde Flamme daher und das andere wie ein großer Scheinwerfer.
Wissenswert
„Auferstehung ist unser Glaube, Wiedersehen unsere Hoffnung, Gedenken unsere Liebe.“ (Hl. Augustinus)
Zu Allerheiligen und Allerseelen gibt es in der Erzdiözese wieder eine Vielzahl an Angeboten zum Gedenken, Abschiednehmen (TrauerRäume) und Hilfe bei einem Trauerfall. Infos: www.eds.at/trauer
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