Dass Freiheit die Möglichkeit schafft, schuldig zu werden, zeigt sich allen, die den Strafvollzug begleitend oder an sich selbst erleben, unzweifelhaft. Hier begegnet man den unterschiedlichsten Umgangsweisen mit dem Schuldigsein: Verdrängung, Projektion, Relativierung, Verfolgungswahn, Größenwahn, Einsicht und Verzweiflung – die häufigste Todesursache im Gefängnis ist Suizid.
Oft früh zerstörte Leben
Kleinkriminelle, Schwerverbrecher – gängige Bezeichnungen, die ein genaues Hinsehen oft erschweren. Wer von außen kommt, wird mit Leid und zerstörtem Leben konfrontiert, erlebt Menschen, die keinen Halt mehr finden, die oft schon früh in ihrem Leben abgekommen sind von einem selbst verantworteten und gesellschaftlich akzeptierten Platz. Da erfährt man von einem jungen Mann, der als Schlepper verurteilt und abgeschoben werden soll, wie er mit 14 Jahren als Kindersoldat rekrutiert wurde, wie viele Leichen er in seinem Leben schon gesehen hat, wie viele weinende und schreiende Mütter. Wenn so ein Mensch dann sagt, dass er an nichts mehr glauben kann, weder an die Menschen noch an Gott, dann bleibt das, wessen er schuldig geworden ist, zwar bestehen und muss auch konsequent geahndet werden, der Mensch selber aber erscheint in einem anderen Licht. Oder jener Mann, der im Alkoholrausch zum Mörder geworden ist ...
Neubeginn versuchen
„Wenn dein Bruder sündigt …“ (Lk 17,3), so bleibt er doch Teil der Menschheitsfamilie, ja sogar dein Bruder und nicht einfach ein kriminelles Element. Das wird im Umgang mit Gefangenen, ganz ohne naive Blauäugigkeit, welche die Schwere der Taten verharmlost, mehr und mehr bewusst. Wer mit klarem Blick auf die Fehler anderer, seine eigenen Fehler, Unzulänglichkeiten und potenziellen Versagensmöglichkeiten im Auge behält, wird sich bewusst, dass wir alle vom Bösen, von der Sünde bedrängt werden. „Wer sagt, dass er ohne Sünde sei, macht Gott zum Lügner …“ (1 Joh 1,10)
Hier findet die Gefängnisseelsorge ihr Aufgabenfeld. Gefangene zu begleiten, die sich zu einer realistischen Einschätzung ihrer Taten durchringen wollen, die nach Vergebung suchen, die sich Gott anvertrauen, um zu lernen mit ihrer Schuld zu leben, ihr Leben neu zu beginnen.
Seelsorgegespräche oder einfach nur zuhören, manchmal Vermittlung zu Beichten, Wort-Gottes-Feiern am Sonntag, das sind die Aufgaben, die mir als Diakon im Gefängnis aufgetragen sind. Aber es gibt auch Gespräche mit der anderen Seite, mit den Angestellten von Justiz und Beratungseinrichtungen. Auch sie verbringen viel Zeit ihres Lebens im Gefängnis.
Gefangene zu begleiten, die sich zu einer realistischen Einschätzung ihrer Taten durchringen wollen, ist eine meiner Aufgaben.
Albert Hötzer ist Diakon in Siezenheim und Gefängnisseelsorger in Puch-Urstein.
teilnehmen
Weihnachtsspendenaktion: Da es zu Weihnachten in den Gefängnissen oft besonders schwer wird, startete Diakon Albert Hötzer mit dem evangelischen Seelsorger Meinhardt van Gierke eine Spendenaktion: Jeder noch so kleine Beitrag auf das Konto der Pfarre Siezenheim hilft: AT92 3503 4000 1910 0502, Verwendungszweck „Weihnacht im Gefängnis“. An die Insassen werden Gutscheine verteilt, die damit Dinge des täglichen Lebens erwerben können.
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