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Ist die Kirche Anwältin der Menschenrechte? Zum Internationalen Tag der Menschenrechte beleuchtet der Salzburger Theologe Andreas M. Weiß das Verhältnis von Kirche und Menschenrechten. Und er hält fest: Alle Menschen haben Rechte. Das klingt selbstverständlich, aber um die globale Durchsetzung muss vielfach gekämpft werden, Einzelfragen sind umstritten. Es hat lange gedauert, bis die katholische Kirche ein positives Verhältnis zur neuzeitlichen Idee der Menschenrechte, insbesondere zu den politischen Freiheitsrechten, gefunden hat. Aufgrund der chris-tentumsfeindlichen Tendenzen der Französischen Revolution war die Ablehnung verständlich. Unter dem Eindruck der totalitären Systeme im 20. Jahrhundert und der Initiative der Vereinten Nationen hat die katholische Kirche beginnend mit Johannes XXIII. in der Enzyklika Pacem in terris (1963) die Menschenrechte als wesentlichen Bestandteil ihrer Soziallehre anerkannt. Die Menschenrechtsidee enthält wichtige Übereinstimmungen mit der biblischen Tradition, vom Dekalog über den Schutz von Armen und Schwachen bis zur Sorge um Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit im sozialen Zusammenleben. Die gleiche Würde lässt sich theologisch vom Gedanken der Gottebenbildlichkeit her verstehen, die den unbedingten Wert jedes Menschen ausdrückt. Die Kirche versteht sich heute selbst als Anwältin der Menschenrechte: „Kraft des ihr anvertrauten Evangeliums verkündet also die Kirche die Rechte des Menschen, und sie anerkennt und schätzt die Dynamik der Gegenwart, die diese Rechte überall fördert.“ (Gaudium et spes 41). Aus Rechten ergeben sich Pflichten Bei ihrer Erfüllung sind Menschenrechte zuerst an öffentliche Institutionen adressiert, an Staaten oder internationalen Organisationen. Im Grunde trifft die Verantwortung aber eine Gesellschaft als Ganze und letztlich die ganze Menschheit. Insofern ist es ein wichtiges Korrektiv, neben Menschenrechten auch Menschenpflichten einzumahnen. In Demokratien ist der Staat rückgebunden an die Bürgerinnen und Bürger. In Konflikten zwischen Mehrheitsmeinungen und Minderheitenrechten wie in der Migration zeigt sich, wie abstrakte Rechte auf ein gemeinsames Bewusstsein angewiesen sind.In konkreten Einzelfragen trifft nicht selten eine Rhetorik unbedingter Rechte auf begrenzte Möglichkeiten und Konflikte mit anderen Rechten. Ein Beispiel ist die Corona-Impfpflicht: Ist das Recht auf Leben und Gesundheitsschutz oder das Recht auf Selbstbestimmung in medizinischen Belangen vorrangig? Aus den Menschenrechten ergeben sich Pflichten, die in der Regel der Fälle zu erfüllen sind, aber im Konfliktfall einer Abwägung bedürfen. Die Rede von Rechten verweist auf den ethischen Diskurs über richtige und gerechte Lösungen. Das sind aktuelle Herausforderungen Aufgrund der sozialethischen Tradition und der globalen Präsenz kann sich die Kirche glaubwürdig weltweit für marginalisierte und benachteiligte Menschen einsetzen. Papst Franziskus mahnt in seinen Lehrschreiben aktuelle Herausforderungen zum Schutz der Menschenrechte ein. Im Sozialprinzip der „Option für die Armen“ kommt die vorrangige Sorge um die Rechte der am stärksten benachteiligten Menschen deutlich zum Ausdruck. Das vorherrschende Wirtschaftssystem kritisiert Papst Franziskus deshalb scharf: „Während ein Teil der Menschheit im Überfluss lebt, sieht der andere Teil die eigene Würde aberkannt, verachtet, mit Füßen getreten und seine Grundrechte ignoriert oder verletzt. Was sagt das über die Gleichheit der Rechte aus, die in derselben Menschenwürde begründet liegen?“ (Fratelli tutti 22)Die Umweltenzyklika Laudato sí ist ge-prägt vom Blick auf die Rechte zukünftiger Generationen und die notwendige Verknüpfung von Umweltschutz und Armutsbekämpfung. Weil Umweltzerstörung die Rechte der Armen besonders trifft, darf der Naturschutz nicht gegen die Armutsbekämpfung ausgespielt werden: „Folglich muss der gesamte ökologische Ansatz eine soziale Perspektive einbeziehen, welche die Grundrechte derer berücksichtigt, die am meisten übergangen werden.“ (Laudato si‘ 93) Aus dem Einsatz der Kirche für den Schutz der Menschenrechte ergibt sich auch eine Selbstverpflichtung. Bezüglich der Stellung der Frau bleibt die Kirche in schwer verständlicher Weise hinter menschenrechtlichen Standards zurück. Mit kaum zu überhörender kirchlicher Selbstkritik mahnt Papst Franziskus: „Entsprechend sind die Gesellschaften auf der ganzen Erde noch lange nicht so organisiert, dass sie klar widerspiegeln, dass die Frauen genau die gleiche Würde und die gleichen Rechte haben wie die Männer. Mit Worten behauptet man bestimmte Dinge, aber die Entscheidungen und die Wirklichkeit schreien eine andere Botschaft heraus.“ (Fratelli tutti 23). TIPP: Der Bericht von Prof. Andreas Weiß ist in voller Länge in der Zeitschrift „Welt.Kirche“ erschienen. Nachzulesen unter www.kirchen.net/weltkirche
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