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Christian Wehrschütz, in Salzburg lebender ORF-Experte für die Ukraine und den Balkan, unternahm für die Präsentation seines neuen Buches einen Kurzbesuch in der Heimat. In Teil zwei seines Rupertusblatt-Interviews schätzt er die Lage im Ukrainekrieg ein. von Thomas Manhart RB: Wir alle haben keine Kristallkugel, um in die Zukunft zu blicken. Würden Sie trotzdem eine Prognose wagen, wie es mit dem Krieg in der Ukraine weitergeht? Christian Wehrschütz: Beide Seiten werden wohl die Winterzeit nutzen, um sich so gut wie möglich aufzustellen und zu modernisieren, dann wird man sehen, wie der Abnützungskrieg weitergeht. RB: Gibt es eine realistische Hoffnung auf ein Ende? Wehrschütz: Bis zum Sommer nächsten Jahres geht es auf jeden Fall weiter. Wir wissen nicht, wie Europa und die USA weiter reagieren und ich sehe auch nicht, dass von den Kriegsparteien irgendeine Bereitschaft für einen Kompromissfrieden besteht. Man darf nicht vergessen: Der Krieg ist ja auch ein Stellvertreterkrieg zwischen Washington und Moskau, der auf ukrainischem Boden ausgetragen wird. Da ist ein Friedensschluss wie 1995 zwischen Serbien und Kroatien, wo ich diese Form des Stellvertreterkrieges nicht hatte, nicht zu erwarten. RB: Menschen machen sich auch Sorgen, dass eine „schmutzige“ oder „echte“ Atombombe eingesetzt werden könnte. Wir groß sehen Sie die Gefahr einer nuklearen Eskalation? Wehrschütz: Ich warne davor, die Gefahr einer atomaren Eskalation einfach nur als russisches Ammenmärchen abzutun. Nachrichtendienste berichten, dass die russische Militärführung diese Frage durchaus erörtert hat. Wir reden heute zum ersten Mal seit der Kuba-Krise wieder über die Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen auf einem europäischen Kriegsschauplatz. Nachdem es derzeit keine vielversprechende politische Initiative zu einer diplomatischen Konfliktlösung gibt, ist die Gefahr einer Eskalation also durchaus gegeben – es kann ja auch unabsichtlich passieren. RB: Ist das Putin wirklich zuzutrauen? Wehrschütz: Man sollte das Ganze nicht auf Putin reduzieren, nach 20 Jahren ist das ein politisches System. In Russland selbst wird Putin nicht dafür kritisiert, dass er den Krieg führt, sondern dass er ihn nicht richtig führt – nicht konsequent und hart genug. Würde Putin morgen an einem Herzinfarkt sterben, gibt es keine ordentliche Nachfolgeregelung und es ist überhaupt nicht vorhersehbar, was passiert. Es gibt dazu ein Sprichwort: Freu dich nicht, wenn du hörst, dass dein Chef gehen muss, solange du nicht weißt, wer sein Nachfolger wird. RB: Tut Österreich im Ukrainekrieg genug? Wehrschütz: Ich glaube, wir leisten im Rahmen dessen, was möglich ist, einen anständigen Beitrag – über den Aufenthalt von Kindern, Müttern, Frauen bis zur Rehabilitation von Verwundeten. Ich glaube sogar, dass wir mit dem Gestatten von Überflügen und Transporten durch Österreich mehr tun, als ein neutraler Staat eigentlich tun dürfte, aber ich bin kein Völkerrechtler. RB: Sie haben als Ukraine-Korrespondent über unsagbare Gräuel berichtet, wurden dadurch aber zugleich in der Heimat immer populärer. Wie bittersüß ist dieses Gefühl? Wehrschütz: Ich bin nicht Journalist, um in irgendeiner Weise populär zu werden, sonst hätte ich bei „Deutschland sucht den Superstar“ mitgemacht. Was mich an der ganzen Geschichte sehr freut und berührt, ist die große Anteilnahme der österreichischen Bevölkerung – etwa wenn mir fremde Menschen sagen: „Passen Sie auf sich auf.“ Aber eines ist ganz klar: Ich würde auf das alles gerne verzichten, wenn dafür das Leiden im Ukrainekrieg beendet wäre. RB: Ihr aktuelles Buch „Mein Journalistenleben“ ist Ihr bislang persönlichstes Werk. Haben Sie schon Pläne für das nächste Buch? Wehrschütz: Es gibt eine Idee, aber die würde ich erst in einigen Jahren umsetzen: „Durch die Kochtöpfe des Balkan“ – Geschichten über die Balkanküche und ihre Zutaten sowie damit verbunden Reportagen über die Länder. Ich glaube, da gibt es einiges Lustiges zu erzählen.
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