RB: Herzliche Gratulation zu Ihrer neuen Funktion. Was sind die Aufgabenfelder einer Behindertenanwältin, welche Schwerpunkte werden Sie setzen?
Steger: Danke. Mein Vorgänger, Hans Jörg Hofer, ist während seiner Amtszeit im September 2022 verstorben. Auf die öffentliche Ausschreibung der Stelle gab es 19 Bewerbungen, ich habe im Hearing überzeugt. Die Anwaltschaft ist eine bundesweite Tätigkeit, ich werde also in den kommenden vier Jahren quer durch Österreich unterwegs sein. Wien ist nämlich ein magischer Moloch. Man vergisst, wenn man ausschließlich dort arbeitet, dass es auch einen Rest von Österreich gibt. Wie ist es um die Mobilität von Menschen mit Behinderung im Innergebirg bestellt? Welche Schulen stehen ihnen hier offen? Welche Angebote hat der dortige Arbeitsmarkt für sie, etwa im Kleinen Walsertal?
RB: Die Aktion „Licht ins Dunkel“ wird von Behindertenverbänden kritisch gesehen. Wie stehen Sie dazu?
Steger: Wenn der Arbeitsminister bei dieser Spendenparty am Telefon sitzt, ist das eine Sache. Ich erwarte mir aber von einem Arbeitsminister, dass er sich für die Rechte der Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt einsetzt und das ganze Jahr über Jahr effiziente Inklusionspolitik macht.
In Österreich leben 1,6 Millionen Menschen mit Behinderung. Trotzdem haben wir ein systematisches Übersehen dieser Gruppe.
RB: Sie haben den vor kurzem verstorbenen Schriftsteller Erwin Riess (Anm. Autor, Rollstuhlfahrer und Behindertenaktivist) als „unbeirrbare Stimme“ für Menschen mit Behinderung beschrieben bzw. betrauert. Unbeirrbar?
Steger: Erwin hat durch seine Erscheinung sehr viel Sachen in Bewegung gebracht. Seine Krimis sind Gesellschaftsanalysen, er hält uns darin immer wieder den Spiegel vor. Wenn er für eine Lesung mit seinem Rollstuhl nicht aufs Podium konnte, da es keine Rampe gab, sprach er das deutlich an, sehr deutlich!
RB: Keine Rampe für Rollstuhlfahrende, keine Toilette für Menschen mit Behinderung, öffentliche Räume, die nicht barrierefrei sind: Diese Missstände dürfte es doch gar nicht mehr geben.
Steger: Dürfte, ja dürfte. In Österreich gibt es 1,6 Millionen Menschen mit Behinderung. Wie viele Menschen mit Behinderungen kennen Sie, treffen Sie in Ihrem beruflichen wie privaten Umfeld? Das systematische Übersehen dieser Gruppe hat auch mit der fehlenden Vergangenheitsbewältigung in Österreich zu tun, denn der Gedanke „sterilisieren und/oder töten“, wurde nie wirklich aufgearbeitet. Wussten Sie, dass das Gesetz zur Sterilisation von behinderten Menschen erst im Jahr 2000 abgeschafft wurde? Welche Plätze weist man Menschen im Rollstuhl etwa in einem Kino zu? Wie viele Kilometer müssen Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit kognitiver Beeinträchtigung täglich zurücklegen, um in eine Schule, an den Arbeitsplatz zu kommen? Man braucht Menschen, die unterstützen, es braucht Gesetze, die Gleichheit festschreiben.
RB: Knapp vor Ihrem 19. Geburtstag hatten Sie einen schweren Verkehrsunfall und haben diesen knapp überlebt.
Steger: Ich war mit meinem Motorrad unterwegs, ein betrunkener Autofahrer hat mich „abgeschossen“. Erwähnen Sie auch ruhig meine Oberschenkelprothese, sie gehört zu mir. Ich hatte Menschen, die mich unterstützen, wie meine Schuldirektorin Ingrid Nachtmann. Es war für mich, wie für alle anderen nach Unfällen, ein langer Weg, der nicht nur steil nach oben führte: Aber wenn man unterstützt wird, geht es leichter. Das muss für alle gelten, nicht nur für die „vorzeigbaren“ Menschen mit Behinderung.
Hintergrund
Die Behindertenanwältin vertritt die Interessen aller Menschen mit Behinderungen in Österreich. Seit kurzem ist Christine Steger als erste Frau in dieser wichtigen Funktion. Die 43-Jährige leitet die Abteilung Family, Gender, Disability & Diversity an der Uni Salzburg. Bereits seit 2018 ist sie Vorsitzende des Unabhängigen Monitoring-Ausschusses, der die menschenrechtliche Situation von Menschen mit Behinderungen in Österreich analysiert und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention kontrolliert. Als Behindertenanwältin wird sie Personen beraten und unterstützen, die sich wegen einer Behinderung diskriminiert fühlen.
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