RB: Welchen Stellenwert hat der christliche Glaube in Ihrem Leben?
Martin Leutgeb: Mich verbindet viel mit Christus: Ich wurde katholisch erzogen – in Tirol kommt man um die christliche Lehre nicht herum – und ich wollte über Jahre Pfarrer oder Leichenbestatter werden. Ich hatte und habe viele schöne Kirchenerlebnisse und engagierte mich lange bei Wallfahrten und in der Pfarre.
RB: Was bedeutet für Sie Christ-Sein?
Leutgeb: Christ-Sein beziehungsweise Religion ist für mich ein Lebensmodell, das zwei wunderschöne Aspekte enthält und durch das wir zum Heil finden: zum einen die Nächstenliebe. Wer sich an diese hält, wird auch nicht stehlen oder töten. Zum anderen die Hoffnung, dass es nach dem Tod weitergeht.
RB: Wie haben Sie begonnen, Ihre Passion auf Papier zu bringen?
Leutgeb: Nach der Anfrage aus Erl habe ich sofort eine Szene, die Geburt, geschrieben. Als Probe, ob ich es machen kann. Diese stellte ich in Erl vor. Das Komitee und ich haben gemeinsam entschieden, dass wir diesen Weg weitergehen.
RB: Warum ausgerechnet diese Szene?
Leutgeb: Der erste Schritt ins Leben ist auch der erste Schritt in den Tod. Das ist unsere Passion. Die Passion soll nicht nur die letzten Tage Jesu zeigen, sondern auch die ersten, die ihn bereit machten, seinen Weg zu gehen. Deswegen wird es in meiner Inszenierung viele Bilder aus der Vergangenheit geben, Stellen, an denen in schwierigen Lebensmomenten das Kind Jesus auftaucht. Zum Beispiel am Ölberg. Die kindliche Naivität gibt Jesus Kraft, zu glauben und sein Kreuz zu tragen.
In der Passion geht es um menschliche Konflikte, in denen sich die Zusehenden wiederfinden sollen.
RB: Was macht Ihren Text aus?
Leutgeb: Ich habe mir einige Passionsspiele angesehen und viele Fassungen gelesen. Alle waren mir zu heilig. Ich möchte wegkommen von der Liturgie und jeder und jedem einen Zugang geben, die Haltungen hinter den Worten näherbringen. Die Zuschauenden sollen Parallelen zu sich selbst erkennen. In meiner Fassung gibt es viele Zitate aus der Bibel, aber keine Wunder. Es wird nur darüber berichtet, weil von uns niemand dabei war. Es geht um menschliche Konflikte, in denen man sich wiederfinden soll: Entspricht das meinen Vorstellungen? Wie geht es mir damit? Ist das wirklich Jesus? Oder ist er es nicht? Will ich an ihn glauben oder nicht? Tut es mir gut, an ihn zu glauben? Gibt mir das eine positive Energie?
RB: Sie bezeichnen die Passion in Erl als ein Herzensprojekt. Warum?
Leutgeb: Ich bin mir meiner Sache sehr sicher und vom Inhalt überzeugt. Auch als Tiroler bedeutet mir das sehr viel. Es ist, wie einen Baum zu pflanzen. Den Text zu verfassen, das zu inszenieren und gemeinsam mit den Erlerinnen und Erlern auf die Bühne zu bringen, ist für mich etwas ganz Besonderes. Damit schreibe ich ein bisschen Geschichte in dieser mehr als 400-jährigen Tradition. Mit diesem Projekt habe ich die Möglichkeit, etwas zu bewegen.
RB: Wie gehen Sie es an, dass sich die knapp 600 Erlerinnen und Erler auf und hinter der Bühne zu einem großen Ganzen zusammenfügen?
Leutgeb: Es braucht ein Konzept und eine gute Zusammenführung. Das Um und Auf ist, dass die Erlerinnen und Erler wissen, was sie spielen, und sie müssen dafür brennen. Dann erreichen wir auch das Publikum. Viele machen aus der Tradition heraus mit, anderen ist es ein wirkliches Bedürfnis, Zeugnis für Jesus abzulegen. Wer bei diesem „Dorfprojekt“ nicht mitmacht, gehört quasi nicht dazu. Die Erlerinnen und Erler missionieren sich selbst, weil sie sich so intensiv mit dem Glauben auseinander setzen. Wie sich die Menschen in dieses Großprojekt „hineinhauen“, berührt mich – davor kann ich nur den Hut ziehen.
RB: Gibt es eine Figur, die Ihnen besonders am Herzen liegt?
Leutgeb: Einzelne Rollen nicht. Es braucht eine gute Konstellation. Um zum Beispiel Jesus zu fordern, bedarf es starker Gegenpositionen. Die Rolle des Johannes des Täufers ist klein, lebt aber von Dynamik. Dieser ruft auf, den Weg für den Herrn zu bereiten, und verkündet, dass es nicht nur um den Körper geht, sondern um unsere Seele, unseren Geist, der durch die Taufe nach dem Tod weiterleben kann. Maria wird eine Mutter sein, die nicht nur mitweint, sondern stärkt und motiviert, die bis zum Schluss alles mitmacht. Ich will sie als eine besondere Frau zeigen, die verdeutlicht, dass der Umgang mit Trauer für jede und jeden anders ist. Und Maria Magdalena wird sich als moderne Frau einbringen, die verdeutlicht, dass Reden gehen, aber die Liebe bleibt. Für das Ganze ist jede noch so kleine Rolle bedeutsam. Wir wollen zusammen mit Spaß und Freude in die Passion eintauchen, mit Stimm- und Atemtraining das Beste herausholen, gemeinsam Figuren kreieren, manches mundgerecht machen und es ansprechend inszenieren.
Szenenbild aus dem Passionsspieljahr 2019
Wissenswert
600 Erlerinnen und Erler stellen sich nun wieder in den Dienst ihrer mehr als 400-jährigen Passionsspieltradition. Die Passion 2025 von Martin Leutgeb beginnt bei der Geburt und endet mit dem Tod Jesu. Sie zeigt, dass es sich lohnt, Bibeltexte, die man schon kennt, zu hören sowie über Christus, das eigene Leben und das Leben nach dem Tod nachzudenken.
Premiere ist am 25. Mai 2025. Bis Anfang Oktober 2025 sind 31 weitere Aufführungen geplant.
Infos unter: passionsspiele.at
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