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RB: Wie geht es Ihnen angesichts der bevorstehenden Emeritierung? Es wird wohl zum ersten Mal in Ihrem Leben ein Alltag ohne klare Aufgabe.
Kardinal Christoph Schönborn: Ich habe bewusst keine Pläne. Ich möchte die neue Situation auf mich zukommen lassen und sie dann gestalten. Er wird wohl in vieler Hinsicht ähnlich bleiben: mit viel Korrespondenz und Telefonieren, aber auch mit mehr Zeit für persönliche Begegnungen und, ich sage es unumwunden, mit mehr Zeit fürs Gebet.
RB: Als Erzbischof von Wien hatten Sie viele zusätzliche Verantwortlichkeiten. Wie haben Sie das geschafft?
Kardinal Schönborn: Es war ein sehr dichtes Leben. Aber das Elixier ist natürlich, dass ich die Arbeit für sinnvoll halte. Die Aufgabe hat mir immer Freude gemacht.
RB: Ihnen sind Menschen in schwierigen Situationen ein Anliegen. Welche Not hat Sie besonders berührt?
Kardinal Schönborn: Als ich ein junger Dominikaner war, um die 21 Jahre alt, stand ein Obdachloser vor der Klosterpforte. Mit einem anderen Mitbruder hörten wir uns seine Geschichte an – und haben uns dann sehr engagiert, dass er im Kloster eine Zeit lang aufgenommen wurde und eine Herberge hat. Das war eine sehr markierende Begegnung: das Schicksal eines Menschen, der aus guter Position, man würde sagen „abgesandelt“ ist. Es ist mir immer wichtig gewesen, hinzuschauen und den Menschen zu begegnen mit ihren Schicksalen, die sehr oft nicht lösbar sind. Aber eine Nähe zu ihnen ist möglich.
RB: Ihnen ist auch persönliches Leid nicht fremd. Sehr offen haben Sie den Tod Ihres Neffen thematisiert. Wie haben Sie diese Trauer erlebt und durchlitten?
Kardinal Schönborn: Die Trauer ist geblieben und gleichzeitig ist sie verbunden mit einem tiefen Trost und dem Wissen, dass Probleme nicht immer auf Erden lösbar sind. Meine Schwester hat das sehr schön in Worte gefasst. Auf die Nachricht, dass ihr Sohn den Drogentod gestorben ist, hat sie gesagt: „Wir haben uns um ihn bemüht, so gut wir konnten. Nun hat Jesus gesagt: ‚Jetzt kümmere ich mich um ihn.“
RB: In diesen Tagen ist die Studie „Was glaubt Österreich?“ erschienen. Was sind Ihre Gedanken zu den mit diesem Forschungsprojekt gewonnenen Erkenntnissen?
Kardinal Schönborn: Für mich geht es um die Hoffnung. Die Hoffnung ist eine andere Dimension als Pessimismus oder Optimismus. Weil sie damit rechnet oder darauf hofft, darauf vertraut, dass die Geschichte nicht nur von uns Menschen gemacht und geschrieben wird. Und das ist eigentlich der Kern meiner Diagnose. Ich glaube, Europa ist eindeutig im Abschwung: wirtschaftlich, demographisch, kulturell und auch religiös. Es ist eine Zeit, die man durchaus diagnostizieren kann als eine Zeit des Niedergangs – ohne moralische Wertung. Die Christenheit Europas ist vorbei. Aber das Christentum ist nicht vorbei. Der Glaube ist nicht vorbei.
Die Geschichte wird nicht nur von uns Menschen gemacht und geschrieben. Ich vertraue daruf, dass Christus der Herr der Geschichte ist.
Ich stelle einfach fest, dass das auch heute laufend passiert. Es kommen Menschen zum Glauben. Wer sind diese 13.000 Erwachsenen, die in Frankreich zu Ostern im letzten Jahr um die Taufe gebeten haben? Was passiert da? Letztlich vertraue ich darauf, dass Christus der Herr der Geschichte ist. Das kann ich nicht beweisen, aber das glaube ich.
RB: Themenwechsel: Wie haben Sie als Erzbischof den Kontakt mit Politikerinnen und Politikern gepflegt?
Kardinal Schönborn: Meine Aufgabe ist es nicht, Politikern Ratschläge zu geben, außer wenn sie das erfragen. Und es ist schön, Menschen zu begegnen, die ihre politische Verantwortung ernst nehmen. Ich habe einen großen Respekt vor diesem Beruf bekommen. Es ist ein Glück, dass wir in einem Land leben, das rechtsstaatliche Prinzipien hat, eine gut funktionierende Justiz, eine öffentliche Sicherheit und bisher verfassungskonforme Parteien. Ich hoffe, dass das so bleibt.
RB: Sie haben sich in Fragen der Gesellschaftspolitik immer wieder geäußert. Wo war für Sie eine rote Linie?
Kardinal Schönborn: Die rote Linie war zum Beispiel, als ich eine sehr deutliche Distanzierung gefordert habe von den Überlegungen zu einem Gesetz der Sicherungshaft, also der Inhaftierung von Personen, die sich noch nichts haben zuschulden kommen lassen. Das wurde auch von manchen politischen Kreisen heftig kritisiert. Also rote Linien sind für mich dort gegeben, wo Grundrechte des Menschen in Gefahr sind.
RB: Wir stellen die Frauenfrage, aber andersherum. Seit kurzem hat die katholische Kirche mit Schwester Simona Brambilla die erste Leiterin einer Vatikanbehörde. Ihr Stellvertreter ist ein Kardinal, Ángel Artime. Wie wäre denn die Vorstellung für Sie, Stellvertreter einer Frau zu sein?
Kardinal Schönborn: Diese Vorstellung ist absolut lebbar. Ich war es von zu Hause gewohnt. Meine Mutter war politisch tätig und in der Wirtschaft hatte sie eine führende Position. Ich habe erlebt, dass sie Chefin war. Das ist nicht etwas völlig Neues. Es ist sicher neu, dass ein Dikasterium in Rom von einer Frau geleitet werden kann. Das ist, glaube ich, eine gute und richtige Entwicklung.
Interview: Stefan Hauser, Sophie Lauringer, Georg Pulling und Paul Wuthe
Wussten Sie, dass
Kardinal Christoph Schönborn ...
... immer mehrere Bücher gleichzeitig liest? Sein Lieblingsroman ist „Die Verlobten“ von Alessandro Manzoni.
... seinen Wahlspruch als Bischof beim Evangelisten Johannes 15, 15 gefunden hat? „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde.“
... die Musik von Franz Schubert und Anton Bruckner besonders gerne hört?
... in Wien in den zweiten Bezirk ziehen wird, in das Kloster der Schwestern vom Lamm?
Kardinal und Wiener Erzbischof
Im Oktober 2024 wurde bekannt gegeben, dass Kardinal Christoph Schönborn rund um seinen 80. Geburtstag am 22. Jänner 2025 als Wiener Erzbischof emeritieren wird.
4.000 Menschen zu Dankgottesdienst erwartet
Vier Tage vor seinem 80. Geburtstag findet am Samstag, 18. Jänner, um 14 Uhr im Wiener Stephansdom ein großer Dankgottesdienst für Kardinal Schönborn statt. Dieser stehe „unter dem Zeichen des gegenseitigen Danks des Erzbischofs und seiner Erzdiözese“ für die 30-jährige Amtstzeit Schönborns als Erzbischof, heißt es von Seiten der Erzdiözese Wien. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird beim Gottesdienst eine Ansprache halten. Im Stephansdom selbst können 3.000 Menschen mitfeiern, für weitere 1.000 Gläubige, die sich im Vorfeld angemeldet haben, stehen in Wien aus Platzgründen zwei „Mitfeierkirchen“ mit Live-Übertragungen offen: die Dominikaner- und die Jesuitenkirche. Nach dem Gottesdienst ziehen die Feiernden gemeinsam zur Agape am Stephansplatz.
ORF-Live-Übertragung und Sonderpostamt
Die Messe am 18. Jänner wird ab 14 Uhr live auf ORF2 übertragen (Vorbericht „Kardinal Christoph Schönborn – Ende einer Ära“ ab 13.20 Uhr). Auch ein Sonderpostamt öffnet während des Festes die Pforten. Im Zwettlerhof (Stephansplatz 6) sind beim Philatelistenverein St. Gabriel und der Österreichischen Post AG zwischen 15 und 18 Uhr verschiedene Sonderbriefmarken und Postkarten zum bevorstehenden 80. Geburtstag des Wiener Erzbischofs erhältlich.
Kardinal Christoph Schönborn OP wurde am 22. Jänner 1945 in Skalken/Skalsko (Böhmen) geboren, von wo seine Familie nach Österreich flüchtete. 1963 trat er in den Dominikaner-Orden ein. Er studierte Philosophie, Psychologie und Theologie in Deutschland und Frankreich sowie in Wien, wo er 1970 zum Priester geweiht wurde. Er lehrte an der Universität Fribourg (Schweiz) und wurde in mehrere Fachkommissionen berufen, darunter 1980 als Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission und der Stiftung Pro Oriente. Seine Bischofsweihe erfolgte 1991 im Wiener Stephansdom. 1995 wurde Schönborn zum Erzbischof Koadjutor ernannt und trat am 14. September das Amt als Erzbischof von Wien an. Die Kardinalswürde erhielt er am 21. Februar 1998. Von 1998 bis 2020 war er als Vorgänger des Salzburger Erzbischofs Franz Lackner Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz.
tom/kap
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