RB: Herr, Haberl, der erste Fastensonntag steht bevor, wie begehen Sie die Fastenzeit?
Tobias Haberl: Die Fastenzeit und Ostern haben für mich große Bedeutung. Ich habe aber das Fasten in den letzten Jahren nicht übermäßig zelebriert. Ich verzichte mal auf Fleisch, dann wieder auf Kaffee oder das Fernsehen und versuche mich so in Selbstbeschränkung zu üben. Ich will spüren, dass das geht. Ich empfinde eine stille Freude beim Warten auf das Osterfest, dem wichtigsten Fest im Kirchenjahr. Es ist aber nicht so, dass ich in dieser Zeit einen komplett anderen Alltag hätte.
RB: Ihr Buch ist ein sehr persönliches Glaubenszeugnis. Warum sind Sie nicht nur Christ, sondern nach einer katholisch geprägten Kindheit auch Katholik geblieben?
Tobias Haberl: Ich bin noch nie auf den Gedanken gekommen, meine Konfession zu ändern. Als junger Mann wollte ich frei sein und die Provinz hinter mir lassen. Ich bin viel gereist, Gott und mein Glaube traten in den Hintergrund. Ich hätte aber immer gesagt: „Ich bin katholisch.“ Als mein Glaube vor etwa zehn Jahren zurückkam, habe ich das wahrgenommen und neugierig zugelassen. Die Sinnlichkeit, das Schöne, die Heiligen und die Eucharistie in der katholischen Kirche haben große Bedeutung für mich. Ich fühle mich heimisch in meiner Religion. Ich hatte aber auch das Glück, dass ich nie schlechte Erfahrungen mit der römisch-katholischen Kirche gemacht habe. Das ist sicher ein wichtiger Punkt.
RB: Sie sagen der Glaube sei eine Zeit lang in den Hintergrund getreten, wie kam er wieder in Ihr Leben?
Tobias Haberl: Erst als ich mit fast 20 Jahren bei meinen Eltern auszog, schlief mein Glaube ein. Ich habe damals sämtliche Autoritäten infrage gestellt bin, die Eltern, die Lehrer, den Pfarrer, wurde vom Landei zum Weltbürger. Ich habe mich immer als Christ bezeichnet, habe meinen Glauben nur nicht praktiziert. Er kam ohne Schlüsselerlebnis, aber mit großer Wucht zurück. Ausgelöst haben das Begegnungen mit gläubigen Menschen. Ich bin wieder mal in die Messe gegangen und habe mich erinnert wie schön es als Kind war, gehalten zu sein in dem Rhythmus sonntags den Gottesdienst zu besuchen. Dazu kam das drängende Gefühl, dass etwas fehlt, und zwar sowohl mir selbst als auch in der Gesellschaft. Da habe ich auf einmal gespürt, dass es vielleicht Gott ist und bin wieder häufiger in den Gottesdienst gegangen.
Ich merke, dass es gut ist, wenn der Glaube nicht erkaltet. In Kontakt treten mit Gott, in die Stille gehen, das hat etwas Heilsames. Per Definition ist Religion die Unterbrechung des Alltags. Das gelingt mir bei einer Messe besonders gut. Dass es mal nicht um einen selbst geht, dass man die eigenen Befindlichkeiten hintenanstellt, das hat etwas Entlastendes. Es nimmt den Druck, man kann getrost etwas abgeben an Gott. Es ist tröstlich, wenn man nicht allein ist, sondern Gott hat.
RB: Könnte sich der Glaube auch bei anderen wieder ins Leben einschleichen?
Tobias Haberl: Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich umringt bin von Leuten, die nicht verstehen, warum ich an Gott glaube und immer noch in der Kirche bin. Sie verbinden Kirche ausnahmslos mit Missbrauch und Vertuschung, empfinden sie als unzeitgemäß, ja überflüssig. Es ist für die Kirche schwierig, diese Menschen zurückzugewinnen, erst recht, weil sie ja wirklich viele Fehler gemacht und Vertrauen verspielt hat. Ich habe aber auch den Eindruck, dass fast alle Menschen die gleiche Sehnsucht haben, nach Gehaltensein, nach Trost, nach Liebe, alle haben Angst vor dem Sterben. Ich denke schon, dass man sie einladen kann, dafür darf man unseren Glaubenskern – Gott ist Mensch geworden – nicht verwässern, nein, man muss ihn betonen. Warum gehen Leute in buddhistische Klöster in Thailand, aber nicht in christliche? Im Christentum gibt es eigentlich alles, wonach sich diese Menschen sehnen, Meditation, Stille, Langsamkeit, Schönheit, Hoffnung. Aber dafür braucht es Geduld, dass die Leute sich wieder annähern. Ich merke schon, dass einzelne zu mir kommen und fragen, ob sie mal mitgehen können in die Messe. Es sind nicht viele, aber manche sind neugierig, wer weiß was passiert.
RB: Sie engagieren sich nicht in einer Gemeinschaft wie etwa in einer Pfarre, zählen sich aber dennoch zur Gemeinschaft der Gläubigen. Denken Sie, dass eine Gemeinschaft ohne das aktive Zutun des Einzelnen Zukunft hat?
Tobias Haberl: Guter Punkt. Ich werde immer wieder vom schlechten Gewissen geplagt, weil ich meinen Glauben sehr persönlich, sehr individuell lebe. Ich bin halt eher ein Eigenbrötler, kein Teamplayer. Trotzdem weiß ich, dass Gottesliebe und Menschenliebe zusammengehören, dass Glaube Dialog und Beziehung ist. Ich tröste mich damit, dass es verschiedene Formen des Glaubens gibt, auch verschiedene Charismen. Und wenn ich ein Buch über den Glauben schreibe, bringe ich auch etwas in die Gemeinschaft ein. Menschen bedanken sich bei mir, sind getröstet durch mein Buch. Dieses Zeugnis ist doch auch ein Beitrag, oder? Abgesehen davon versuche ich christlich zu handeln, wo es geht, im Alltag, in der Arbeit, bei Freunden. Ich überlege mir, wie Jesus gehandelt hätte, ich versuche Gutes und Warmes in die Welt zu bringen. Das sollte selbstverständlich sein für jemanden, der sich Christ nennt.
RB: Sie bemängeln, dass Religion öffentlich kaum thematisiert wird.
Tobias Haberl: Ich habe zwei, drei Freunde, die fest im Glauben stehen, mit denen ich reden kann. Es wundert mich aber, dass ein so wichtiges, auch gesellschaftspolitisches Thema wie Glaube oder Religion kaum öffentlich vorkommt. In positiven Geschichten, meine ich. Auch in der Zeitung, für die ich arbeite, wird abgesehen von Skandalen kaum umgegangen mit dem Thema. Ob ich im Freundeskreis bin oder in Redaktionskonferenzen, Glaube oder Gott kommen überhaupt nicht vor. Ich wünsche mir, dass man darüber genauso spricht, wie über Trump oder andere tagesaktuelle Themen.
Kirchennahe Menschen sind in der Defensive. Es gibt kein Gespür mehr dafür, dass viele Menschen noch in der Kirche sind und wirklich glauben.
RB: Die Zahl der Katholiken schrumpft hierzulande. Viele Eltern lassen ihre Kinder auch nicht mehr taufen, sie finden das nicht zeitgemäß. Denken Sie, dass ein Schrumpfen hin zu einer Kirche der wenigen, die dafür aber fest im Glauben stehen, vielleicht sogar gut?
Tobias Haberl: Die Weltkirche wächst, aber was Europa betrifft, gebe ich Ihnen Recht. Die Kirche muss nicht gleich in Panik verfallen, wenn im Westen der Zeitgeist ist, wie er ist. Natürlich wird sich die Kirche als Institution restrukturieren müssen, aber für den Glauben derjenigen, die bleiben, muss das nichts Schlechtes bedeuten. Wenige können auch für die Vielen beten, und es gibt auch junge Menschen, die Gefallen an einer Kirche haben. die sich nicht dem Zeitgeist anbiedert. Viele merken, da fehlt etwas, trotz der Möglichkeit jederzeit alles machen, kaufen, erleben zu können. Ich wage keine Prognose, aber ich kann mir vorstellen, dass im Schrumpfen auch eine Chance liegt. Es gibt so etwas wie eine Volkskirche nicht mehr. Kinder werden kaum noch christlich erzogen. Man hört immer wieder, dass selbst christliche Eltern ihre Kinder nicht mit der Taufe beeinflussen wollen. Ich finde das skurril, weil Erziehung doch immer Beeinflussung ist, und wenn man etwas als schön und wahr erkannt hat, kann man es doch getrost weitergeben. Ich habe aus meiner Kindheit einen großen Schatz, den ich mittrage. Ich bin meinen Eltern dafür dankbar. Wir wissen aber nicht, was in 50 oder 100 Jahren ist. Vielleicht werden die Menschen dann Christen, weil sie es wirklich wollen. Die Kirche darf und soll in anderen Zeiträumen denken als der Rest der Welt.
RB: In Afrika und Asien erlebt das Christentum im Unterschied zu Europa einen Aufschwung. Aufgrund des Priestermangels hier, kommen viele Seelsorger aus Asien oder Afrika zu uns. Welche Chancen sehen Sie in dieser umgekehrten Mission?
Tobias Haberl: Ein Problem ist, wenn man den Priester nicht gut versteht, dann fehlt ein bisschen die Konzentration im Gottesdienst. Auf der anderen Seite finde ich es schön, wenn die Weltkirche dadurch spürbar wird. Ich kann der Tatsache, dass da vorne jemand mit anderer Hautfarbe steht und an denselben Gott glaubt wie ich, schon etwas abgewinnen. Trotzdem ist der Priestermangel bei uns natürlich ein Problem.
RB: Wie bilden Sie sich im Glauben weiter?
Tobias Haberl: Ich habe ein paar theologische Bücher gelesen, allein schon für mein eigenes Buch, aber ganz ehrlich: So viel weiß ich gar nicht über den Glauben. Ich habe kein akademisches Verhältnis dazu, eher ein instinktives, fast kindliches. Durch die vielen Begegnungen mit Klerikern und Theologen in den letzten Monaten ist mein Interesse gewachsen. Neben meinem Bett stapeln sich einige theologische Bücher, ich habe Blut geleckt und will mein Wissen vertiefen, ohne meinen naiven Zugang zu verlieren.
RB: Sie haben als Laie ein Buch über den Glauben geschrieben. Welche Rückmeldungen haben Sie bekommen und was unterscheidet Ihr Buch von anderen zum Thema Religion?
Tobias Haberl: Ich habe unglaublich viele Rückmeldungen bekommen. In der Presse und von Menschen, die mein Buch gelesen haben. Ich halte viele Lesungen. Mit diesem riesengroßen Interesse habe ich nicht gerechnet. Wenn ein Laie seinen Glauben bezeugt, tröstet und bestärkt es viele, in einer Zeit, in der Kirche und Gläubige verunsichert sind. Auch viele Theologen melden sich bei mir. Ich sauge das alles auf und merke, was ich alles noch nicht weiß.. Das Geheimnis des Buches ist, dass es in anderer Sprache über den Glauben spricht. Es ist von einem Menschen geschrieben, der viele Dummheiten gemacht hat und mit beiden Beinen im Leben steht. Ein ganz normaler Mensch, der an Gott glaubt und davon überzeugt ist, dass die Kirche trotz aller Fehler eine kostbare Institution ist. Mein Buch ist ein Glaubenszeugnis. Das macht seinen Reiz aus.
Tobias Haberl: „Unter Heiden – warum ich trotzdem Christ bleibe“, btb Verlag, 2024, 288 Seiten, 22,70 Euro, ISBN: 978-3-442-76287-3.
mit Autor Tobias Haberl (Süddeutsche Zeitung), Do., 13. März, 19 Uhr, Kapitelsaal Salzburg, Kapitelplatz 6. Anm.: KBW Salzburg, 0662/8047-7520, office@bildungskirche.at
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