Rupertusblatt: Gemeinsam mit Pastoralassistent Günther Jäger haben Sie das Projekt Biwak entwickelt. Was war der Auslöser?
Herbert Müller: Schon bevor ich für die Erzdiözese Salzburg gearbeitet habe, sind mir als Fiaker in der Altstadt die in den Parks und unter den Brücken schlafenden Obdachlosen aufgefallen. Dabei hatte ich immer ein schlechtes Gewissen und war irgendwie frustriert, genau das zu tun, was nicht wichtig ist, und das Wichtige nicht zu tun.
RB: Was änderte sich daran, als Sie später Mitarbeiter in der Erzdiözese wurden?
Müller: Es war ein kalter März im Jahr 2018, für die Nacht waren Minustemperaturen angekündigt – mit Leuten da draußen, die nirgendwo unterkommen. Da dachte ich mir: Jetzt müssen wir schnell reagieren und etwas machen, das wirklich notwendig ist. Die Kirche hat so eine klasse Infrastruktur mit warmen Räumen, die teilweise ungenutzt sind. Ich nahm meinen Schlafsack mit, Günther Jäger von der KHG/Universitätspfarre kümmerte sich um einen Raum und Raim Schobesberger, selbst ein Roma, radelte zu den Brücken, um die Obdachlosen zu informieren, dass sie zum Übernachten zu uns kommen dürfen. Es war ein erster Schritt, der viele weitere nach sich gezogen hat.
RB: Welche Gefühle löste diese Geburtsstunde des erfolgreichen Biwak-Projekts in Ihnen aus?
Müller: Es war fast berauschend, einmal das zu tun, von dem ich zuvor schon überzeugt war, dass es getan werden sollte – nichts Großartiges, sondern nur eines der vielen Dinge, die möglich sind und die gebraucht werden. Was uns immer fasziniert hat, ist die Geschichte vom barmherzigen Samariter: von Beruf ein Geschäftsmann, der aber seine Reisen unterbricht, um das zu tun, was notwendig ist.
Es gibt keine Spezialisten für Barmherzigkeit.
Der Gedanke, dass jeder sein Tagwerk unterbrechen und ein Samariter sein kann, gefällt mir. Es gibt keine Spezialisten für Barmherzigkeit. Man muss dafür keine besondere Gnade, kein besonderes Charisma haben. Das habe ich auch nicht. Es gilt letztlich nur: Entweder hilft dir wer oder er hilft dir nicht. Das ist wie damals, als ich beim Autostoppen als junger Erwachsener in der Kälte stand. Entweder jemand bleibt stehen und sagt „Steig ein“ oder er fährt vorbei.
RB: Warum engagieren Sie sich gerade in diesem Bereich?
Müller: Als ich frisch verheiratet in eine Stadtwohnung zog, stand oft ein Obdachloser in der Nähe des Hauses – auch zu den kältesten Zeiten. Wir haben angefangen, in der Nacht den geheizten Fahrradraum in unserem Wohnblock für ihn aufzusperren, um ihn dort schlafen zu lassen. Die Nachbarn sind zunächst erschrocken, aber wir konnten sie beruhigen. Das war für mich eine Lebensschule im Sinne von: was kann man tun, wenn man selbst nicht viel hat.
RB: Wie funktioniert das Biwak-Projekt eigentlich genau?
Müller: Wir stellen von Advent bis Ostern jeden Abend ab 22 Uhr einen kirchlichen Raum zur Verfügung – ohne Betten, aber mit einem warmen Boden, zum Beispiel einen Pfarrsaal oder Clubraum. Die Obdachlosen, vorwiegend Roma und Sinti, bringen ihre eigenen Decken und Matten mit. Jeder bekommt einen Kübel mit warmem Seifenwasser zum Füßewaschen, damit es sauber zugeht. Sie jausnen oft noch ein bisschen, gruppieren sich in ihren Familien und legen sich dann mit dem Ausschalten des Lichts um 23 Uhr nieder. Am Morgen gibt es Tee und Kaffee, es wird alles zusammengepackt, gekehrt, die Toiletten gereinigt und gelüftet, sodass die Räume ab zirka acht Uhr wieder normal genutzt werden können.
RB: Gibt es auch eine Betreuung?
Müller: Es übernachten dort etwas abseits auch jeweils ein bis zwei unserer vielen Ehrenamtlichen. Wenn alles gut geht, helfen uns in einem Winter so an die 30 Leute. Anders würde es bei mehr als 100 Nächten auch nicht funktionieren.
RB: Mit Ihrer Arbeit ermutigen Sie viele Menschen. Brauchen Sie auch selbst Mut dafür?
Müller: Zum Start des Projekts 2018 sagte Günther Jäger zu mir: „Du bist wichtig. Die Erzdiözese braucht dich.“ Das hat mir Mut gemacht und ich dachte mir: Wenn ich wichtig bin, dann tue ich auch etwas, das wichtig ist.
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