RB: Gibt es Erfahrungswerte, wie lange es in der Regel dauert, bis sich Frauen Hilfe holen?
Christina Riezler: Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Frauen sehr lange selbst versuchen, die Dinge gut zu regeln, die Beziehung wieder hinzubekommen. Sie rufen die Polizei erst dann, wenn die Situation eskaliert. Auch in Beratungseinrichtungen kommen die Frauen leider recht spät. Sie schämen sich für das, was ihnen passiert ist, dabei sollte es umgekehrt sein. Viele Betroffene erzählen uns, dass sie versuchen alles richtig zu machen, doch es nützt nichts. Gewalt fängt nicht erst bei einem Faustschlag an, sondern schon vorher. Je früher die Frau lernt, stopp zu sagen, desto größer ist auch die Chance, die Beziehung zu verändern.
RB: Die Medien berichten beinahe tagtäglich von einem Gewaltverbrechen an Frauen. Ist tatsächlich eine Zunahme festzustellen?
Christina Riezler: Die Statistik der vergangenen Jahre zeigt, dass die Tötungsfälle derzeit hoch sind. Es hat allerdings bereits Jahre gegeben, in denen die Fälle höher waren. Diese Medienpräsenz hat zwei Seiten. Zum einen ist es positiv, da die Menschen sensibilisiert werden. Auf der anderen Seite gibt es eine große Verunsicherung, weil man das Gefühl hat, es gibt keinen Schutz in Österreich, doch das stimmt nicht. Das Ziel bei der Berichterstattung sollte sein, nicht nur über die schlimmsten Fälle zu berichten, sondern auch über alle Hilfsangebote, die zur Verfügung stehen.
RB: Spielen das Alter oder die Herkunft der Männer eine Rolle?
Christina Riezler: Das geht quer durch alle Altersgruppen, ebenso die Herkunft. Eine wichtige Rolle spielt die Einstellung der Männer zur Gleichberechtigung. Das Patriarchische kann auf einem heimischen Bauernhof genauso ausgeprägt sein, wie in Ländern, in denen Frauen generell weniger Rechte haben. Es kommt auf die Sozialisierung an.
RB: Kann man einen Vergleich herstellen, wie diese Männer, die Gewalt anwenden und die Frauen, die diese Gewalt zulassen, aufgewachsen sind oder wie sie ihre Eltern erlebt haben?
Christina Riezler: Dies ist eine der größten Risikofaktoren. Wenn es niemanden gibt, der dem Kind sagt, dass dies falsch ist, was zuhause passiert, glaubt es, das ist normal. Deshalb ist es so wichtig, Kindern aus solchen Familien zu erklären, was richtig und was falsch ist.
RB: Warum agieren vor allem Männer mit physischer Gewalt? Ist es auch so, dass Frauen mit Gewalt agieren in der Familie?
Christina Riezler: Die Ursache ist immer noch Machtausübung. Rückblickend be-trachtet, durften Frauen bis in die siebziger Jahre nicht arbeiten gehen. Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1989 strafbar. Das wirkt nach. Manche Männer glauben immer noch, dass sie der Herr im Haus sind und dass sie mehr Rechte haben. Wenn Männer in der Beziehung Gewalt anwenden, wollen sie ihre Interessen durchsetzen, auch gegen den Willen der Partnerin, notfalls auch mit Gewalt. Körperliche Übergriffe lernen Burschen oft früh. Kommt er nach einer Prügelei von der Schule heim, fragen ihn die Eltern, wie der Gegner zugerichtet ist. Im Gegensatz dazu kommen Mädchen soziologisch betrachtet, gar nicht auf die Idee, körperlich übergriffig zu werden.
RB: In welcher Form kann das Gewaltschutzzentrum helfen?
Christina Riezler: Das Gewaltschutzzentrum ist die größte gesetzlich anerkannte Opferschutzeinrichtung in Salzburg. Unsere Beratung ist kostenlos, vertraulich und kann auch anonym sein. Wir bieten drei Teile: die rechtliche Beratung, die psychosoziale Beratung. Der wesentlichste Bereich ist die Gefährdungseinschätzung, um, wenn es notwendig ist, einen Sicherheitsplan zu machen oder wenn keine unmittelbare Gefährdung festgestellt wird, die Menschen zu stärken.
Info: Gewaltschutzzentrum Salzburg
Paris-Lodron-Straße 3a/1. Stock
Beratung und Unterstützung:
0662/870 100
www.gewaltschutzzentrum.at
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