Salzburg. Am Ostersonntag waren wir Christinnen und Christen wie jedes Jahr mit der berührenden Erzählung der Begegnung Maria von Magdalas mit den Engeln am leeren Grab und mit dem auferstandenen Jesus konfrontiert. Ist Ihnen dabei die detailgetreu beschriebene Szenerie des leeren Grabes mit den beiden Engeln am Kopf- und Fußende aufgefallen? Oder das „Versteckspiel“ zwischen Jesus und Maria – gleicht es nicht vielmehr dem Spiel zwischen verliebten Menschen?
In einem christlich-jüdischen Gesprächskreis des Jesuiten Christian Rutishauser fühlten sich Rabbiner bei der Schilderung des leeren Grabes mit den beiden Engeln an die in Exodus 25,18 beschriebene Bundeslade erinnert. Diese hatte wahrscheinlich die Form eines Kastens beziehungsweise eines Sarges und verbarg in ihrem Inneren das Wort Gottes. An den beiden Schmalseiten war je ein Engel (Cherub) angebracht. Jesus verkörpert für Christinnen und Christen die Gegenwart Gottes in unserer Welt. Die neutestamentliche Erzählung wird zu einer Auslegung (jüdisch: Midrasch) der alttestamentlichen Erzählung.
Ähnlich verhält es sich mit dem Midrasch der suchenden Maria von Magdala, sie findet schlussendlich ihren geliebten Jesus im „Auferstehungsgarten“. Die Szene gleicht dem 3. Lied Salomos (Hohelied 3,1–5), wo geschildert wird, wie Schulamit ihren Geliebten sucht und findet.
Der Auferstehungsgarten, in dem der „Gärtner“ Jesus Maria begegnet, ist dem Paradiesgarten (Gen 2 u. 3) nachempfunden. Aber im Gegensatz zum alttestamentlichen Vorbild ist er nicht mehr verschlossen durch einen Cherub, sondern wieder geöffnet. Allein in diesen drei Vergleichen wird deutlich, welcher Reichtum der hebräischen Bibel (das Alte Testament) in den neutestamentlichen Texten erkennbar wird.
In dem Werk „Das Neue Testament – jüdisch erklärt“ deutet die US-amerikanische Jüdin und Theologin Amy Jill-Levine mit ihren Kolleginnen und Kollegen neutestamentliche Texte auf dem Hintergrund antiker und rabbinischer Textvorlagen. Sie hinterfragt damit einige festgefahrene Irrtümer in christlichen Predigten.
Am Beispiel der Bergpredigt mit ihren Antithesen sei dies kurz geschildert: Wo christliche Predigerinnen und Prediger bis heute versuchen, Jesu Botschaft als Gegensatz zur jüdischen Gesetzes-Tradition in den Vordergrund zu stellen, weist Aaron M. Gale auf die Tatsache hin, dass Jesus das Gesetz nicht auflösen, sondern erfüllen wollte. Jesus spitzt bestehende ethische Gebote und Verbote zu und baut so einen „Zaun um die Tora“, wie es jüdische Rabbiner seiner Zeit auch getan haben. Um sicherzustellen, dass beispielsweise das Verbot des Ehebruchs befolgt wurde, verbot Jesus bereits den begehrlichen Blick.
In dem gut lesbaren Grundlagenwerk von Amy-Jill Levine und ihren Kollegen wird deutlich, dass Jesus als ein jüdischer Rabbiner die hebräische Bibel in spezifischer Weise auslegt, aber damit weiterhin innerhalb der jüdischen, äußerst vielfältigen Auslegungstradition seinen Platz hat. Die Autorinnen und Autoren setzen die Bemühungen der deutschsprachigen jüdischen Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin und Pinchas Lapide fort, den entfremdeten christlichen Jesus in seine jüdische Umgebung heimzuholen. „Das Neue Testament – jüdisch erklärt“ wird so für alle Bibelinteressierten zu einem einzigartigen Nachschlagewerk.
Matthias Hohla ist Referent für Ökumene und Dialog der Religionen der Erzdiözese Salzburg.
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