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Liebe Schwestern und Brüder! Wie können wir das Fest Allerheiligen beschreiben? Ich möchte Ihnen einen Gedanken vorschlagen. Zum persönlichen Nachdenken könnten wir sagen: Das Fest Allerheiligen ist ein Fest gegen die Schwerkraft.
Die Schwerkraft hält uns am Boden. Ohne sie hätte nichts und niemand Halt. Sie hält die Erde und die Planeten in ihrer Umlaufbahn um die Sonne. Durch die Schwerkraft bewegt der Mond die Gezeiten des Meeres. Sie folgt den physikalischen Gesetzen der Natur – und doch ist sie recht geheimnisvoll. Wir denken im Alltag nicht an sie, es sei denn, wir fallen und stürzen zu Boden. Wenn man älter ist, dann spürt man, dass es einige Anstrengung braucht, um wieder aufzustehen. Die Schwerkraft drückt uns nieder.
Unser ganzes Leben ist immer auch ein Ankämpfen gegen die Schwerkraft. Vom Aufstehen aus dem Bett in der Früh angefangen über das Stiegensteigen bis hin zu einer Bergwanderung. So ist es nicht verwunderlich, dass auch im persönlichen Leben die Überwindung der Schwerkraft ein Bild dafür ist, wie wir Tag für Tag unser Leben zu gestalten haben. Das Lernen in der Schule, das Berufsleben, die Gestaltung einer Beziehung: alles erfordert, sich nicht gehen zu lassen, der Bequemlichkeit nicht nachzugeben, den Emotionen nicht einfach freien Lauf zu lassen.
Menschen, die das schaffen, bewundern wir zurecht. Wenn sie darin große Vorbilder geworden sind, können sie sogar einen Platz im heiligen Kalender oder hier unter den heiligen Statuen im Stephansdom bekommen. Heute werden sie alle geehrt, die vielen, vielen Heiligen, die bekannt geworden sind, und die noch viel zahlreicheren, deren Namen vergessen sind, die aber im Himmel einen Platz unter den Heiligen haben.
Schwestern und Brüder! Wie wird man eigentlich ein Heiliger? Was braucht es dazu? Die Kirche wagt die verwegene Ansicht, dass alle Menschen das Zeug haben, Heilige zu werden. Sie sagt aber gleich dazu: Alleine und aus eigener Kraft ist das nicht zu schaffen. Ohne die Hilfe von oben ist der Zug nach unten nicht zu überwinden.
Heute, am Fest Allerheiligen, wird das Evangelium von den Seligpreisungen gelesen. Diese acht Worte Jesu sind so etwas wie die Charta für den Sieg über die Schwerkraft. Jedes dieser Worte beginnt mit „selig“. Jedes verheißt ein großes Glück. In allen diesen Worten geht es um ein geglücktes Leben.
Heilig werden hat mit Freude zu tun. Und, Schwestern und Brüder, kann man sich freudlose und humorlose Heilige vorstellen? Doch ebenso wenig gibt es Heilige, die ohne Prüfungen und Leid durchs Leben gegangen sind. Heilige, das sind Menschen wie wir alle. Nur haben sie gewusst und erlebt, dass wir vor Gott und voreinander arm sind. Sie haben, wie wir alle, Kummer und Sorgen gekannt. Darüber haben sie aber die Not der anderen nicht vergessen. Sie haben in sich den Hang zur Gewalt gespürt, aber ihn überwunden. Sie haben der Hartherzigkeit nicht nachgegeben. Wo Streit war, haben sie Frieden und Gerechtigkeit gestiftet. Und dafür haben sie lieber selber Unrecht erlitten, als anderen Unrecht zuzufügen und haben dabei gewusst, dass sie das alles eben nicht aus eigener Kraft alleine schaffen.
kap
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