RB: Nahtoderfahrungen gibt es in allen Religionen und Kulturen. Die Berichte sind sehr unterschiedlich. Aber oft ist von einem Licht die Rede – auch bei Ihnen?
Albert Biesinger: Bei mir war es das helle Glück. Es war nichts Unangenehmes dabei. Vielleicht war es auch mein innerer Glaube an die Auferstehung, dass ich auf das Licht Gottes hingehe.
RB: Können Sie diese Erfahrung beschreiben?
Biesinger: Die Ärzte hatten mich schon aufgegeben. Ich war im Koma. In dieser Phase von neun Tagen saß ich in meiner Nahtoderfahrung auf einem Stuhl, obwohl ich immer im Intensivbett gelegen bin mit vielen Schläuchen. Eine Radwalze hat gegen mich gedreht. Ich habe es so wahrgenommen, als müsste ich gegen den Tod andrehen. Ich war erschöpft, konnte nicht mehr und habe plötzlich aufgegeben. Da sagte eine Stimme zu mir: „Es ist so weit, jetzt bist du bald im Himmel.“ Dann kam ein grenzenloses, explosives, helles Glück. Das war so phänomenal, dass ich dachte, noch ein Millimeter, dann sehe ich Gott. Doch dann sagte dieselbe Stimme: „Schade um deine Frau.“ Das Glück ist zusammengebrochen. Ich musste mich wieder in meinen Körper zurückarbeiten. Schritt für Schritt wurde ich aus dem Tiefschlaf zurückgeholt.
RB: Sie sind mit Ihrem Erlebnis sehr offen umgegangen. Hatten Sie keine Bedenken, nicht ernst genommen zu werden?
Biesinger: Als ich nach drei Monaten wieder an der Uni war, habe ich den Studierenden erklärt, was mit mir passiert ist. Da war ein Student anwesend, der anschließend einen Rundfunkbeitrag über mich gestaltet hat. Danach haben mich zahlreiche Menschen angesprochen. Ein Mann berichtete mir von seiner Nahtoderfahrung und der Reaktion seiner Frau, die meinte, er gehöre in die Psychiatrie. Ich hatte Anfragen zu Podien, die das Thema Nahtod wissenschaftlich reflektiert haben. In der Theologie war ich der Einzige, der darüber geredet hat. Ich habe es stets sehr selbstkritisch beschrieben. Diese Erfahrung ist kein Beweis für ein Leben nach dem Tod, sie ist kein Gottesbeweis. Was ich in diesem Sterbeprozess erlebt habe, ist ein ganz tiefes Erlebnis von Bewusstseinserweiterung. Ich fühlte, wie mein Körper nicht mehr kann. Aber meine Erkenntnis: Ich bin mehr als mein Körper. Ich habe Respekt vor dem Sterben, wenn ich große Schmerzen hätte. Angst vor dem Tod habe ich keine mehr. Ich will ja wieder das Licht sehen, wenngleich es nicht sofort sein muss. Meine Frau sagt immer: Mach langsam. Ich bin überzeugt, dass ich irgendwann wieder in diesen Sog des Glückes hineingerate.
RB: Hat die Nahtoderfahrung Ihre Sicht auf das Leben, Ihren Glauben verändert?
Biesinger: Mein Glaube ist viel existenzieller. Vorher glaubte ich auch an die Auferstehung der Toten. Ich bete jeden Tag das Jesusgebet. Doch nach meiner Nahtoderfahrung ist meine Religiosität noch intensiver in meinem Leben, ich habe dieses Erlebnis spirituell in meinen Alltag integriert. Heute stelle ich mir oft vor dem Einschlafen als Abendgebet dieses wärmende Licht vor, dieses große Glück. Was sich noch verändert hat: Ich rege mich nicht mehr über Kleinigkeiten auf. Ich bin innerlich ruhiger und tiefgründiger geworden.
RB: Sie meinen auch, wir dürften Kinder nicht mit dem Thema Tod verschonen.
Biesinger: Die meisten Kinder haben Fragen: Tut sterben weh? Wie sieht der Himmel aus? Was passiert bei einer Beerdigung? Dann zu sagen, du darfst nicht mitkommen, das ist zu schwierig für dich, hilft gar nicht. Ich denke, Kinder kommen besser zurecht, wenn wir offen mit ihnen reden.
Hintergrund
Albert Biesinger, Dr. theol., ist Fa-milienvater und Opa. Als Diakon (Pfarre Seekirchen) und emeritierter Professor für Religionspädagogik (Tübingen) bringt er Menschen die Freude am Glauben näher. Er ist Vorstand der Stiftung „Gottesbeziehung in Familien“ (www.stigofam.de).
Der Tod ist auch für Kinder ein existenzielles Thema, „dem wir nicht ausweichen sollten“, sagt Biesinger. Antworten auf Fragen gibt dieses Buch: Albert Biesinger, Helga Kohler-Spiegel, Simone Hiller (Hg.), Gibt es ein Leben nach dem Tod? Kösel Verlag, München, ISBN 978-3-466-37167-9.
Aktuelles E-Paper