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Seine Eltern waren nach ihrer Stellung in der Welt von nicht geringem Rang, aber Heiden. Sein Vater war zuerst gewöhnlicher Soldat, dann Militärtribun. Martinus selbst ergriff in seiner Jugend das Waffenhandwerk und diente in der Gardereiterei unter Kaiser Constantius, dann unter Kaiser Julian. Jedoch nicht aus eigenem Antrieb. Denn schon von früh auf sehnte sich der edle Knabe in seiner Kindesunschuld mehr danach, Gott allein zu dienen. Zehn Jahre alt, flüchtete er sich gegen den Willen der Eltern in die Kirche und verlangte Aufnahme unter die Katechumenen (Taufbewerber) ... als er zwölf Jahre alt war ... beschäftigte er sich immerfort mit dem Kloster oder mit der Kirche und sann schon im Knabenalter über das nach, was er später in heiligem Eifer zur Ausführung brachte.
Nach einer kaiserlichen Verordnung mussten die Söhne der Veteranen zum Kriegsdienst herangezogen werden. Deshalb meldete ihn, da er fünfzehn Jahre alt war, sein Vater an; denn es missfiel diesem ein so glücklicher Wandel. Martinus wurde festgenommen, gefesselt und zum Fahneneid gezwungen. Er gab sich zufrieden mit einem Diener als Begleitung. Indes gar oft vertauschte er die Rollen, und der Herr bediente seinen Diener...
Seine Güte gegen die Kameraden war groß, seine Liebe erstaunenswert, seine Geduld und Demut überstiegen alles Maß. Die Genügsamkeit braucht an ihm nicht gerühmt zu werden; sie war ihm in dem Maße eigen, dass man ihn schon damals eher für einen Mönch denn für einen Soldaten hätte halten können... Er half bei schwerer Arbeit mit, unterstützte Arme, speiste Hungernde, kleidete Nackte, von seinem Kriegersold behielt er nur das für sich, was er für den täglichen Unterhalt brauchte. Er machte sich keine Sorgen um den kommenden Tag, er war ja schon damals nicht taub gegen die Stimme des Evangeliums.
Einmal, er besaß schon nichts mehr als seine Waffen und ein einziges Soldatengewand, da begegnete ihm im Winter, der ungewöhnlich rau war, so dass viele der eisigen Kälte erlagen, am Stadttor von Amiens ein notdürftig bekleideter Armer. Der flehte die Vorübergehenden um Erbarmen an. Aber alle gingen an dem Unglücklichen vorbei. Da erkannte der Mann voll des Geistes Gottes, dass jener für ihn vorbehalten sei, weil die andern kein Erbarmen übten. Doch was tun? Er trug nichts als den Soldatenmantel, den er umgeworfen, alles Übrige hatte er ja für ähnliche Zwecke verwendet. Er zog also das Schwert, mit dem er umgürtet war, schnitt den Mantel mitten durch und gab die eine Hälfte dem Armen, die andere legte er sich selbst wieder um.
Da fingen manche der Umstehenden an zu lachen, weil er im halben Mantel ihnen verunstaltet vorkam. Viele aber, die mehr Einsicht besaßen, seufzten tief, dass sie es ihm nicht gleich getan und den Armen nicht bekleidet hatten, zumal sie bei ihrem Reichtum keine Blöße befürchten mussten.
In der folgenden Nacht erschien Christus ... dem Martinus im Schlafe ... eingedenk der Worte, die er einst gesprochen: „Was immer ihr einem meiner Geringsten getan, habt ihr mir getan“... Trotz dieser Erscheinung verfiel der selige Mann doch nicht menschlicher Ruhmsucht, vielmehr erkannte er in seiner Tat das gütige Walten Gottes und beeilte sich, achtzehnjährig, die Taufe zu empfangen.
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