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Jesus hat uns den Weg zum Himmel geöffnet; durch seinen Tod hat er uns das ewige Leben geschenkt; durch das Holz des Kreuzes hat er uns die Früchte des Heils gebracht. Schauen wir also auf ihn, schauen wir auf den Gekreuzigten. Am Kreuz steht nur ein einziger Satz: „Das ist der König der Juden“ (Lk 23,38). Das ist also der Titel: König. Wenn wir jedoch auf Jesus schauen, wird unsere Vorstellung von einem König auf den Kopf gestellt.
Versuchen wir, uns einen König bildlich vorzustellen: Wir denken dann wohl an einen starken Mann, der auf einem Thron sitzt, mit kostbaren Insignien, einem Zepter in der Hand und glitzernden Ringen an den Fingern, während er feierliche Worte an seine Untertanen richtet. Das ist in etwa das Bild, das wir im Kopf haben. Aber wenn wir Jesus anschauen, sehen wir, dass er das pure Gegenteil davon ist. Er sitzt nicht auf einem bequemen Thron, sondern hängt an einem Todeswerkzeug; der Gott, der „die Mächtigen vom Thron stürzt“ (vgl. Lk 1,52), wirkt als ein Knecht, der von den Mächtigen ans Kreuz gehängt wurde; nur mit Nägeln und Dornen geschmückt, von allem entblößt, aber reich an Liebe, lehrt er vom Thron des Kreuzes aus die Menge ohne Worte und ohne die Hand zu heben. Er tut mehr: Er zeigt auf niemanden mit dem Finger, sondern breitet seine Arme für alle aus. So zeigt sich unser König: mit offenen Armen.
Nur wenn wir uns in seine Umarmung hineinbegeben, begreifen wir, dass Gott so weit gegangen ist, bis zum Paradox des Kreuzes, um wirklich alles von uns zu umarmen, auch das, was ihm am fernsten war: unseren Tod. Er hat unseren Tod umarmt, unseren Schmerz, unsere Armut, unsere Zerbrechlichkeit und unser Elend.
Er hat sich zum Knecht gemacht, damit sich jeder von uns als Sohn oder Tochter fühlen kann; unsere Kindschaft hat er mit seiner Knechtschaft bezahlt; er hat sich beschimpfen und verspotten lassen, damit niemand von uns in irgendeiner Demütigung mehr allein ist; er hat sich entkleiden lassen, damit sich niemand seiner Würde beraubt fühlt; er ist aufs Kreuz gestiegen, damit in jedem Gekreuzigten der Geschichte Gott gegenwärtig ist. Dies ist unser König, unser aller König, der König des Weltalls, denn er hat die äußersten Grenzen des Menschseins überschritten, er ist in die schwarzen Löcher des Hasses eingetreten, in die schwarzen Löcher der Verlassenheit, um jedes Leben zu erleuchten und alle Wirklichkeit zu umarmen.
Brüder, Schwestern, das ist der König, den wir heute feiern! Es ist nicht einfach, das zu verstehen, aber er ist unser König. Und die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Ist dieser König des Weltalls der König meines Lebens? Glaube ich an ihn? Wie kann ich ihn als Herrn aller Dinge feiern, wenn er nicht auch zum Herrn meines Lebens wird?
Richten wir unsere Augen wieder auf den gekreuzigten Jesus. Siehst du, er betrachtet dein Leben nicht nur einen Moment lang, er wirft dir nicht nur einen flüchtigen Blick zu, wie wir es oft mit ihm tun, sondern er bleibt da, um dir in der Stille zu sagen, dass ihm nichts an dir fremd ist. Dass er dich umarmen, aufrichten und retten will, so wie du bist: mit deiner Geschichte, deinem Elend, deinen Sünden.
Aus der Predigt von Papst Franziskus zum Christkönigssonntag 2022 während der Messfeier in der piemontesischen Stadt Asti.
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