Ist diese Welt noch zu retten? Das fragen sich viele mit dem Blick auf die Ereignisse unserer Tage und die Leere in vielen Herzen. In privaten und öffentlichen Gesprächen geht es immer öfter um eine durch unsere Lebensweise erfahrbare Belastung. Sie trägt das Etikett einer merkbaren Rettungslosigkeit. Dabei ist nicht nur die Klimakrise zu nennen. Der Mensch scheint sich zur Last geworden zu sein.
Die Sehnsucht nach einer neuen (anderen) Ordnung, nach einem neuen Joch, das leichter, gerechter und nachhaltiger für Körper und Geist sein soll, ist groß. Ganz zu schweigen davon, dass das Ende der bestehenden Weltordnung täglich verkündet wird. Eine frappante Ähnlichkeit zur Zeit, als sich die Weihnachtsgeschichte anbahnt. Die Hoffnung auf einen Messias, der von alten Fesseln befreit, in die Zukunft führt und eine neue Ordnung schafft, war groß. Wir kennen alle diesen Text einer zarten Hoffnung auf verwandelnde Veränderung und Befreiung: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf. Du erregst lauten Jubel und schenkst große Freude. Denn wie am Tag von Midian zerbrichst du das drückende Joch, das Tragholz auf unserer Schulter und den Stock des Treibers.“(Jesaja 9)
Mit der Geburt Christi erfüllt sich etwas. Aber vielleicht nicht so, wie es die Menschen erhoffen oder wie es der herkömmlichen Erwartungshaltung entspricht. Das Lukas-Evangelium erzählt uns, dass sich bereits mit dem Kind in Marias Schoß etwas verändert – ihre Vorstellung von Gott. So sagt sie zu Elisabeth: „Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“ (Lk 1, 51–53) Eine Ahnung, dass mit der Geburt ihres Sohnes eine neue Ordnung anbricht.
Diese Ordnung führt in die Nacht der Wandlung: aus Gott wird Mensch, aus Macht wird Ohnmacht. Gott, der alles in der Hand hat, legt sich in die Hände des Menschen. Wer sich darauf einlässt, erfährt eine innerliche Zurüstung mit Hoffnung und Mut, damit äußere Umstände nicht endgültig zu Boden drücken. Nicht ein aufflackernder politischer und aktionistischer Messianismus verändert, sondern die innere Wandlung des Herzens, weil Gott sich mit uns einlässt.
Der von den Nazis ermordete Jesuit Alfred Delp wusste um diese Kraft des Evangeliums von einem Gott, der Mensch unter Menschen wurde – gerade auch in der ausweglosen Situation der Gefangenschaft: „Der Mensch ist nicht mehr allein. Es gibt nun keine Nächte mehr ohne Licht, keine Gefängniszellen ohne echtes Gespräch, keine einsamen Bergpfade und gefährlichen Schluchtwege ohne Begleitung und Führung. Wir sind dem Leben mehr gewachsen, lebenstüchtiger und lebenskundiger, wenn wir den Weisungen dieser Nacht uns öffnen. Lasst uns wandern und fahren, lasst uns die Straßen und Schrecken des Lebens nicht scheuen und fürchten. Lasst uns dem Leben trauen, weil diese Nacht das Licht bringen musste. Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht mehr allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.“
Wenn wir diese Einladung ergreifen, unser auf äußere Umstände zentriertes Wertesystem im Sinne der Menschwerdung auf den Kopf stellen zu lassen, dann wird es Weihnachten in unseren Herzen. Und je nachdem, wo wir nach diesem Kopfstand landen – unten oder oben – können wir die befreiende Macht der Menschwerdung erahnen: von dem, was uns niederdrückt, oder wo wir selbst zur Belastung werden.
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