„Wenn die stille Zeit vorbei ist, wird es auch wieder etwas ruhiger“, so hat es mit dem ihm eigenen Humor einst Karl Valentin gesagt. Diese Worte treffen – viele hetzen in diesen Tagen vom Geschenkkauf zur Weihnachtspost und wieder zurück. Bisweilen bleibt vor lauter „Vorweihnachtszeit“ kaum Luft für den Advent, und dabei hätten wir doch so viel Grund zu staunen in diesen Tagen. Was für ein Zeichen, was für ein Wunder hat sich vor zwei Jahrtausenden in Bethlehem ereignet! Gott erniedrigt sich, er entschließt sich, an unserer Seite ein ganzes Menschenleben mitzugehen, in Armut geboren zu werden, in Einfachheit zu leben, schließlich in Schande zu sterben – so aber letztlich über die Welt zu triumphieren.
Das Wunder der Geburt unseres Erlösers ist ein Aufrütteln. Sie lädt uns ein, nachzudenken – über uns selbst, über die Art, wie wir an der Gestaltung unserer Welt teilhaben. Ja, Nachdenklichkeit ist angebracht in diesen Tagen. Nachdenklichkeit ist auch ein zentraler Punkt, der uns in der Kirche in Form der Synodalität beschäftigt. Was wir aus dieser lernen können für diese Tage der Vorbereitung auf die Geburt des Herrn ist zum einen das Stillsein, das Innehalten. Zum anderen aber ist es auch das Sich-Zurücknehmen, zu den eigenen Ideen, eigenen Bedürfnissen und Konzepten eine indifferente Haltung anzunehmen. In dieser Haltung geben wir dem Heiligen Geist Raum; aus ihr vermögen Verständnis, Aussöhnung und schließlich Friede zu erwachsen.
Das Jahr 2023, welches wir nun abschließen, hat uns keinen Frieden gebracht. In der Ukraine hat sich der Krieg zu einem zermürbenden Stellungskampf entwickelt, der Menschenleben fordert und kaum Hoffnung zulässt, es könnte ein Ende der Kämpfe geben – weder ein baldiges noch ein gerechtes.
Artsach, eine wirkliche Wiege früher armenisch-christlicher Kultur, wurde nach mehreren Angriffen durch Aserbaidschan entvölkert, das christliche Erbe ist der Auslöschung ausgeliefert. Die Diözese Artsach ist vor unseren Augen untergegangen. Der verarmte und gequälte Rest der Bevölkerung harrt nun in Armenien einer ungewissen Zukunft entgegen.
Israel wiederum, jüdisches Leben im Heiligen Land und auf der ganzen Welt wurde Opfer eines in Jahrzehnten beispiellosen barbarischen Mordens durch die Terrororganisation Hamas. Die Folge: Ein weiterer Krieg, der wiederum unschuldiges Leben fordert; es herrscht Angst unter unseren jüdischen Mitbürgerinnen und -bürgern, die Israel als ihre Rückversicherung für ein Leben in Sicherheit betrachten und vielerorts betrachten müssen. Die Zivilbevölkerung Gazas wird vielfach als Schutzschild missbraucht.
Angesichts von so viel Leid neigen wir zur Resignation. Doch wenn ich von Indifferenz spreche, meine ich eben nicht Gleichgültigkeit. Nein, wir müssen uns betreffen lassen. Aber um voranzukommen, müssen wir uns bisweilen selbst etwas zurücknehmen. „Nimm dich nicht so wichtig“, hat der heilige Papst Johannes XXIII. einst zu sich selbst gesagt. Ein einfaches und schönes Zeugnis.
Jedes Jahr erinnern wir uns an die Geburt des Erlösers, der sich uns gleichsam ausgeliefert hat. Jedes Jahr scheint uns die Welt daran zu erinnern, warum dieses Sich-Ausliefern, dieses Erretten notwendig war – aber wir wissen zu Weihnachten auch: Es war nicht umsonst. Der Friede, der uns mit der Geburt Christi vom Himmel her verheißen wurde, ist keine Einbildung. Er beginnt durch uns, mit uns und in uns, durch unsere Haltung gegenüber Gott, unseren Mitmenschen und schließlich uns selbst. Denn darin besteht das Gesetz Gottes – ihn, den Höchsten, zu lieben, sowie unsere Nächsten in gleichem Maße wie uns selbst. Darin liegt Friede, darin liegt Hoffnung – jenes leise „Vielleicht“ im lauten „Nein!“ der Welt, wie es Goethe ausgedrückt hat.
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitchristinnen und Mitchristen: Heißen wir den Erlöser willkommen – bereiten wir ihm den Weg, wie es der Prophet sagt. Machen wir einen Schritt zur Seite, nehmen wir uns dafür etwas zurück, und geben wir so dem Wirken Gottes und seinem Frieden eine Chance.
Ich wünsche allen von Herzen gesegnete Weihnachten!
Erzbischof Franz Lackner
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