RB: Die Fastenzeit kann ein guter Anlass sein, sein Leben zu überdenken und neu auszurichten.
P. Christian Marte: Manchmal haben wir den Eindruck: Alles wackelt! Im persönlichen Leben, in unserem Umfeld, in Europa und in der Welt: So viel ist im Umbruch. Wie können wir uns da zurechtfinden, damit unsere Seele nicht verloren geht, damit wir nicht bitter werden? In der katholischen Tradition haben wir einen großen Schatz: die Feste im Kirchenjahr. Sie sind wie ein Geländer: Wir können uns daran festhalten, müssen aber nicht. Wir sind frei, uns auf diese Zeiten einzulassen. Der christliche Festkreis gibt Halt und strukturiert das unendliche Meer der Zeit.
Die Zeit auf Ostern hin ist für uns Christinnen und Christen eine Zeit der Vorbereitung, innerlich und äußerlich. So wie es zuhause den Frühjahrsputz gibt, so brauchen wir den auch für unsere Seele: eine Neu-Ausrichtung auf das, was uns wichtig ist im Leben. Eine Neu-Ausrichtung auf Gott.
RB: Warum tun sich viele von uns schwer damit, Dinge loszulassen?
P. Christian Marte: Das ist ganz normal. Wir hängen an den Dingen, und die Dinge hängen an uns. Wir engagieren uns in Projekten und möchten noch etwas fertigstellen. Das Loslassen scheint zuerst wie ein Verlust. Aber wenn man etwas aus den Händen gibt, dann sind die Hände wieder frei für Neues. Neu anfangen ist meine liebste Definition von Freiheit.
RB: Wie können wir das Neu-Beginnen aus dem christlichen Glauben heraus angehen? Was hilft uns?
P. Christian Marte: Der Rückblick auf unser eigenes Leben hilft. Da gibt es sehr viele Neu-Anfänge, begonnen mit unserer Geburt. Der erste Schultag, die erste Freundschaft, die erste Berufs-Erfahrung. Wir haben in unserem Leben schon oft neu angefangen. Unser christlicher Glaube ist da ganz nahe dabei: mit der Taufe, der ersten Beichte, der ersten heiligen Kommunion, der Firmung als Beginn des Erwachsen-Werdens, mit der Ehe-Schließung oder den geistlichen Weihen. Unsere Sakramente begleiten die Neu-Anfänge.
RB: Sie haben einmal zu einem „spirituellen Update“ eingeladen. Was meinten Sie damit?
P. Christian Marte: Viele von uns haben den Religions-Unterricht be-sucht. Es tut uns auch als Erwachsenen gut, uns neu mit Fragen des Glaubens zu beschäftigen. Konkret kann das heißen: Lesen in der Heiligen Schrift, besonders in den Psalmen. Eine Wallfahrt mit einer guten inhaltlichen Vorbereitung. Sich in einem Caritas-Projekt zu engagieren. Bewusst einen Gottesdienst in einem anderen Ort zu besuchen. Sich ein Beichtgespräch vornehmen.
Ich wünsche mir eine starke Kirche für die Schwachen.
RB: Bräuchte nicht die gesamte Kirche ein „Update“? Wie ordnen Sie in diesem Zusammenhang den Synodalen Prozess ein, auf den Papst Franziskus die Weltkirche geschickt hat?
P. Christian Marte: In der Vorbereitung auf Ostern geht es zuerst um unser geistliches Leben. Da hat jede und jeder von uns schon genug zu tun. Jene, die Verantwortung für die kirchlichen Einrichtungen tragen, müssen diese immer wieder erneuern. Dabei soll der Synodale Prozess helfen: Wirklich zuhören wollen und sich mit seinen Möglichkeiten einbringen. Ich wünsche mir eine starke Kirche für die Schwachen. Dafür lohnt sich der persönliche Einsatz. Sonst würde ich mich nicht zu sehr mit „Kirche“ beschäftigen. Unser Fokus ist das Evangelium mit einer Botschaft der Hoffnung und Zuversicht. Es langweilt mich, wenn über kirchliche Strukturen geklagt wird; das nährt meine Seele nicht.
RB: Papst Franziskus und Sie gehören dem Jesuitenorden an. Woran erkennt man bei Franziskus einen jesuitischen Führungsstil?
P. Christian Marte: Es gibt ein Wort von Pater Jeronimo Nadal, einem Jesuiten und Freund des heiligen Ignatius: „geistlich, herzlich, praktisch“ (lat: spiritu, corde, practice). Das ist ein gutes Merkwort für alle, die getauft sind. „Geistlich“ kommt zuerst. Das ist die Grundlage. Dann: „herzlich“. Die Art, wie man miteinander umgehen soll. Ein freundliches Gesicht hilft, auch in schwierigen Situationen. Und dann: „praktisch“. Es braucht die Umsetzung guter Ideen. Wer es gemütlich haben möchte, wer möchte, dass alles so bleibt wie es ist, oder wer möchte, dass es so wird wie früher: der ist bei uns Jesuiten nicht gut aufgehoben. Wir wollen nicht den Status quo verteidigen, sondern ihn zum Besseren verändern.
RB: Was können wir von den Jesuiten lernen, um gut zu entscheiden?
P. Christian Marte: Der Dreischritt lautet: Unterscheidung, Entscheidung, Entschiedenheit.
Zur „Unterscheidung“ gehört: Die Sache, die man entscheiden möchte, wirklich gut kennen. Mehrere Perspektiven sehen, nicht nur seine eigene. Betroffene Menschen einbeziehen. Gute Ratgeberinnen und Ratgeber fragen. Die Sache ins Gebet nehmen. Dann braucht es eine „Entscheidung“. Wir entscheiden uns für eine Möglichkeit und andere Alternativen verfolgen wir nicht weiter. Und dafür braucht es Durchhalte-Vermögen. Das nennen wir „Entschiedenheit“. Auch gegen Widerstand etwas durchsetzen. Und zugleich bereit sein, zu hören, was verbessert werden kann. Wir leben nach vorne und müssen unsere Entscheidungen auch immer wieder überprüfen.
RB: Zurück zur Fastenzeit: Kriege, Klimakrise und Migrationsbewegungen machen den Menschen Angst. Ostern setzt dem eine starke Botschaft entgegen. Wird sie auch gehört?
P. Christian Marte: Mir hilft, dass ich nicht zu viele negative Nachrichten konsumiere. Das gibt freie Zeit, um die eigenen Spielräume zum Guten hin zu nützen. Das sind kleine Hilfsprojekte, zum Beispiel einen ukrainischen Flüchtling zum Facharzt zu begleiten.
Das zentrale Ereignis von Ostern ist die Auferstehung Jesu. Ich übersetze „Auferstehung“ für mich mit „neu anfangen“. Die Auferstehung Jesu ist ein echter Neu-Beginn. Es gehört zur Lebenskunst, auch die kleinen Neu-Anfänge in unserem Leben als Auferstehungs-Momente zu sehen. Das stärkt unsere Seele und macht uns zu zuversichtlichen Menschen.
Informations-Tag
„Wer es bequem möchte und möchte, dass alles bleibt wie es ist, ist bei uns Jesuiten nicht gut aufgehoben“, sagt Christian Marte, Rektor des Jesuitenkollegs in Innsbruck. Er war Referent bei der diesjährigen Pastoraltagung in Salzburg.
Tipp: Jesuit werden? Info-Tag, Sa., 23. März, 10 bis 18 Uhr, Jesuitenkolleg, Sillgasse 6, Innsbruck.
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