RB: In der Benediktsregel ist von der geistlichen Freude auf das Osterfest die Rede. Die besondere Erwähnung von Ostern zeigt die Bedeutung für Benedikt. Was heißt Ostern für Sie?
Erzabt Korbinian Birnbacher OSB: Der heilige Benedikt lebte eine spezifische Christus-Frömmigkeit. Das zeigt sich in fast allen Kapiteln seiner Regel. Er spricht von Christus als dem eigentlichen Hausherrn des Klosters. Der Abt ist nur der „vices Christi“, der Stellvertreter. Der eigentliche Obere ist Christus. Im Sinne der typisch frühchristlichen Spiritualität steht Christus als Sohn des Vaters im Mittelpunkt der Verehrung. So wird Christus auch immer als „Deus“ oder „Dominus“, als Gott oder Herr bezeichnet. Dies zeigt sich vor allem in der gänzlich österlichen Perspektive des benediktinischen Lebens. Im Kapitel 49 über die 40-tägige Bußzeit heißt es: Mit geistlicher Sehnsucht und Freude erwarte der Mönch das heilige Osterfest. Letztlich stehen bei Benedikt immer die Auferstehung und Erlösung im Mittelpunkt. Es gibt eine schöne Episode in der Lebensbeschreibung des Heiligen: Benedikt hat sich am Beginn seines Rückzuges in die Einsamkeit so aus seiner Lebenswelt entfernt, dass er gar nicht mehr wusste, wann das Osterfest sei. Als ein Priester an einem Ostersonntag zu ihm auf Besuch kommt, sagte Benedikt zu: Es ist so schön, dass du gekommen bist. Es ist wie Ostern, denn ich durfte dich sehen. Der Priester antwortet, dass wirklich Ostersonntag ist. Und die beiden hielten Mahl. Mit anderen Worten: In der Begegnung ereignet sich Auferstehung!
RB: Mit Blick auf den Ukrainekrieg – wir brauchen die österliche Friedensbotschaft mehr denn je. Papst Franziskus prangert den „Wahnsinn des Krieges“ an und ist kürzlich für seine Worte zu einem Waffenstillstand heftig kritisiert worden. Aber können Waffen Frieden schaffen?
Erzabt: Natürlich können Waffen „per se“ nie Frieden schaffen. Sie sind aber zur Selbstverteidigung erlaubt, denn sie können den Angreifer zum Einhalt zwingen und somit einen Waffenstillstand als Voraussetzung für Friedensverhandlungen herstellen. Die Tragödie aber ist, dass es in jedem Krieg einen Aggressor und leider auch viele Opfer gibt, dass die Kräfteverhältnisse meist asymmetrisch sind und es infolgedessen Sieger und Besiegte gibt. Ein überfallener Staat darf sich jedenfalls selbst verteidigen. Benedikt warnt in seiner Regel davor, dass man keinen „falschen Frieden schließen“ soll. Friede ist jedenfalls das Werk der Gerechtigkeit (Jes 32, 17).
RB: Die Hauptrolle in Ihrem Buch spielt die Benediktsregel. „Ora et labora“ ist bekannt – aber das Werk des Benedikt von Nursia ist weit mehr. Muss der Erzabt von St. Peter alle 73 Kapitel im Detail kennen?
Erzabt: Der Abt muss nicht alle Kapitel im Detail kennen, so wie der gute Christ nicht alle Kapitel der Bibel im Detail kennen muss. Aber die Kernbotschaften muss er kennen und vor allem auch gut verstehen und konsequent anwenden. Dreimal wird die gesamte Regel übers ganze Jahr verteilt vorgelesen, damit man sich stets an sie erinnert. Der Abt soll die Regel aber gut kennen und die entsprechenden Kommentare studieren. Denn der Abt steht immer auch für die authentische Interpretation der Regel ein und ist dafür verantwortlich, dass sie im Geiste Benedikts gelebt wird. Änderungen oder Abweichungen von der Regel, die zwar legitim sind, müssen immer gut und fundiert auf der Basis der geistlichen Quellen begründet sein.
RB: Sie bezeichnen die Benediktsregel als Betriebssystem für Mönche – aber auch für Laien. Wie passen Gehorsam, Schweigen und Demut in unsere Welt?
Erzabt: Die klösterlichen Tugenden wie Gehorsam, Schweigen oder Demut sind Gegenentwürfe zu unserer heutigen Welt der Kälte und des Kampfes. Scheinbar darf sich nur der Stärkere durchsetzen. Für sich selbst stehend macht Gehorsam natürlich keinen Sinn. Oft genug hat man Gehorsam in Verantwortungslosigkeit pervertiert, hat sich aus angeblichem „Befehlsnotstand“ von der Sittlichkeit gestohlen. Das Entscheidende ist, dass sie in Freiheit gelebt werden.
RB: Sie gehen im Buch auch auf die Erneuerung der Kirche ein. Sie schreiben etwa, dass Bischöfe wie Äbte und Oberinnen gewählt werden könnten und sprechen sich für das Frauenpriestertum aus.
Erzabt: Ich habe gesagt, dass ich mir das „vorstellen“ kann, wenn der Heilige Geist das will. Aber wer darf eine so wichtige Frage entscheiden? Keine Bischofskonferenz, keine Bischofssynode und kein einzelner Bischof allein. Meines Erachtens bedürfte es in einer solch großen Frage eines klaren Konsenses auf einem Ökumenischen Konzil. Es scheint, dass dafür die Zeit noch nicht reif ist. Andererseits sollte man mutig diskutieren, forschen und beten. Denk- und Diskussionsverbote halte ich in diesem Zusammenhang für kontraproduktiv. Seit Jahrzehnten lassen sich diese Fragen nicht mehr unterdrücken. Wir brauchen Optimismus, Mut und vor allem Geduld.
RB: Sie geben auch sehr persönliche Einblicke. Der Leser oder die Leserin erfährt etwa, dass Sie Tagebuch schreiben. Welchen Effekt hat das?
Erzabt: Ich reflektiere jeden Morgen den vorausgegangenen Tag. Das tut mir gut, ist für mich eine geistliche Übung und ein geistiges Exerzitium. Ich beurteile herausfordernde Situationen, die immer unvorhergesehen kommen, ruhiger und gelassener.
RB: Ihre (erste) Amtszeit geht im April 2025 zu Ende. Wenn Sie schon jetzt zurückblicken: Was war das Schönste, was das Herausforderndste?
Erzabt: Das Schönste in diesen Jahren, dass sich unsere Gemeinschaft konsolidiert hat und auch ein Stück wachsen durfte. Das Herausfordernste ist immer, wenn Konflikte einfach unlösbar sind, trotz Geduld und Offenheit sich im Einzelfall Einsehen nicht einstellen will. Das Schmerzlichste ist, wenn ein Mitbruder die Gemeinschaft wieder verlässt.
Buchtipp:
Als hochaktuellen Leitfaden für ein erfülltes Leben betrachtet Erzabt Korbinian Birnbacher die Benediktsregel in seinem Buch. 2013 wurde er zum Erzabt seines Professklosters St. Peter in Salzburg gewählt. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Österreichischen Ordenskonferenz.
„Weites Leben, weites Herz“, Tyrolia 2024, ISBN 978-3-7022-4188-9, 20 Euro.
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