Aktuelles E-Paper
RB: Wie ist es um die Ressource Vertrauen aus Ihrer Sicht bestellt?
Bischof Hans van den Hende: Ohne Vertrauen können wir keine Beziehung zu anderen Menschen und zu Gott leben. Vertrauen ist nicht einfach so da. Es ist ein Prozess. Wir müssen Vertrauen immer wieder aufbauen. Es ist aber auch ein Geschenk Gottes. Als Christinnen und Christen wissen wir, der Heilige Geist führt uns, er stärkt uns.
RB: Wir sprechen häufig über Kirchen- und Glaubenskrise. Ist die Glaubenskrise eine Vertrauenskrise?
Bischof van den Hende: Theologisch gesehen, ja. Wenn Menschen keine Beziehung zu Gott haben, dann haben wir eine Vertrauenskrise. Vertrauen kann wieder wachsen, wenn wir als Kirche in der Lage sind, die Menschen wirklich einzuladen an unserer Gemeinschaft teilzuhaben. Das Wort Krise kommt übrigens aus dem Griechischen. Es bedeutet, man muss unterscheiden, man muss eine Entscheidung treffen. In dieser Vertrauenskrise geht es darum, die Bedeutung der Berufung zu überdenken und die Beziehung zu Gott neu zu entdecken. Es geht darum, Gott zu kennen, ohne ihn vollständig zu verstehen, denn er ist jenseits all unserer Vorstellungen. Wenn er in Christus zu uns kommt, und Chris-tus ist das Gesicht seiner Barmherzigkeit und Liebe, dann können wir ihn erkennen. Dann wird meine Antwort sein: Ich glaube an Gott, ich werde mein Vertrauen in ihn setzen.
Eine echte Herausforderung ist es, auf die Menschen ohne Religion zuzugehen.
RB: Kommen wir zur Kirche in den Niederlanden. Wie in vielen anderen europäischen Ländern sind die Katholikenzahlen rückläufig. Können Sie uns die Situation beschreiben?
Bischof van den Hende: Wenn wir uns die Statistiken anschauen, waren Anfang des letzten Jahrhunderts beinahe 98 Prozent der niederländischen Bürger gläubig. Heute sind es 42 Prozent, alle Konfessionen zusammen. Das bedeutet, dass 58 Prozent keine Religion haben. Manchmal haben die Menschen die Kirche oder die Religion hinter sich gelassen, aber immer mehr Menschen haben den Reichtum des Glaubens nie kennen gelernt. Rund 21 Prozent der Bevölkerung sind katholisch. Das sind etwa 3,8 Millionen Katholiken. Das ist viel weniger als früher. Und doch ist es noch eine große Gruppe.
In der Reformationszeit gab es zweieinhalb Jahrhunderte lang keine Bischöfe, keine Diözesen und keine Pfarren. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts durften die Katholiken ihr religiöses Leben wieder in der Öffentlichkeit ausüben. Sie erneuerten das gesamte System der Pfarren und Klös-ter von Grund auf. Zwischen 1853 und dem Zweiten Weltkrieg lagen also fast 100 Jahre des Aufbaus und der Stärkung.
Dazu möchte ich auf eine Geschichte mit Papst Johannes Paul II. verweisen. Als junger Priester besuchte er nach dem Zweiten Weltkrieg, noch in den 40er Jahren, unser Land und war beeindruckt. Es gab so viele katholische Einrichtungen. Er sah diese riesigen Schulen und Kirchen. Und er schrieb: Ich frage mich, ob all das ausreichend im Herzen verwurzelt ist. Oder ob es ein Weg ist, um zu zeigen, dass wir stark sind. Steht das öffentliche Erscheinungsbild im Mittelpunkt oder die innere Spiritualität?
RB: Heute erfüllt die römisch-katholische Kirche in den Niederlanden ihren Auftrag in einer stark säkularisierten Gesellschaft.
Bischof van den Hende: Es liegt eine spezifische Geschichte nach der Reformationszeit hinter uns, dann der Aufschwung, die Erfahrung des Krieges und die Säkularisierung. In den 60er Jahren hatten wir noch eine sehr hohe Rate an Kirchgehern, 80 Prozent. Dann geht es rapide hinunter. Der Anteil der regelmäßigen Gottesdienstbesucher liegt nun bei drei Prozent. Also müssen wir uns auf eine andere Praxis einstellen, neue Wege gehen.
RB: Haben Sie konkrete Beispiele?
Bischof van den Hende: Wir haben eine „Tour des Glaubens“ gestartet bei der ich als Bischof dabei bin. Jeden Monat gibt es in einer Gemeinde ein Treffen für junge Menschen. Wir feiern eine Messe. Danach folgen ein Austausch über Glaubensfragen und ein gemeinsames Essen. Die jungen Leute können über ihre Erfahrungen, warum sie glauben, erzählen. Oft sind Freunde oder Familienangehörige nicht gläubig. Deshalb ist es wichtig, ihnen diese Möglichkeit zu eröffnen, Zeugnis zu geben und einander zuzuhören.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen sehr gut in der Lage sind, ihren Glauben auszudrücken, ihre Fragen zu formulieren und ihre Zweifel zu beschreiben. Es ist also sehr einfach, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Andererseits sind viele Freiwillige in der Kirche und Gottesdienstbesucher ältere Menschen. Ich denke also, dass die verschiedenen Generationen voneinander lernen können, was Engagement und Beteiligung an der Kirche und die Fähigkeit, Zeugnis abzulegen, wirklich bedeuten.
Ein anderes Beispiel ist der nationale Jugendtag. Die Initiative dazu geht heute von den Jugendlichen selbst aus. Es kommen natürlich nicht Millionen, aber beim letzten Mal waren es etwa tausend Teilnehmende. Die junge Generation übernimmt Verantwortung. Das ist sehr positiv.
RB: Würden Sie von einem neuen Aufbruch sprechen?
Bischof van den Hende: Wir sind eine kleine Kirche und wir sind aktiv, aber nicht als auffälliger Faktor in der Gesellschaft. Wir sind aufgerufen eine Zivilisation der Liebe aufzubauen (Papst Paul VI.). Es geht um den Fortbestand der Mission der Kirche das Evangelium zu verbreiten: durch Feiern, lernen und dienen. Ich sehe junge Menschen, die Hoffnung schöpfen und weitergeben. In unserer Kathedrale hatten wir heuer 35 erwachsene Tauf- und Firmkandidaten. Das ist eine weitere wirklich positive Entwicklung. Eine echte Herausforderung ist es, auf die Menschen ohne Religion zuzugehen und sie anzusprechen.
RB: Wie gelingt es Ihnen in einer Metropole wie Rotterdam als Kirche und als Bischof Präsenz zu zeigen?
Bischof van den Hende: Unsere Diözese ist jung. Sie entstand erst 1956. Die Diözese hat 3,8 Millionen Einwohner, davon sind rund 500.000 katholisch. Wir sind also eine Minderheit. Aber ich sage immer, eine präsente Minderheit. Unser Bürgermeister in Rotterdam ist Muslim. Er meinte zu mir, in der katholischen Kirche erlebe er Integration. Er sehe Gläubige aus aller Welt in unserer Kathedrale. Sie kommen zu unseren Gottesdiensten, um zu beten und sie nehmen am Gemeindeleben teil. Diese Internationalität macht uns besonders. Dann sind wir keine niederländische Kirche. Wir sind Weltkirche.
I. Burgstaller/D. Pernkopf
Aktuelles E-Paper