Liebe Schwestern
und Brüder!
Der Advent hat seinen Namen vom lateinischen Wort „adventus“, was „Ankunft“ bedeutet. Vier Wochen lang bereiten wir uns darauf vor, diese Ankunft zu feiern – die Ankunft Jesu, ganzer Gott und zugleich ganzer Mensch, wie uns der Glaube lehrt. In früheren Zeiten und auch noch in der östlichen Disziplin war der Advent eine eigene Fastenzeit; die Vorbereitung war also durchaus auch eine körperliche. Davon ist heute, wenn wir uns wachen Auges im Advent umsehen, zunächst scheinbar nicht viel geblieben. Die vorgeblich „stillste Zeit“ ist kaum einmal wirklich ruhig.
Eines dürften wir alle, selbst diejenigen, die dem Glauben und der Kirche fern geworden sind, gemein haben – wir freuen uns auf Weihnachten, auf den Heiligen Abend, auf ein besseres neues Jahr, auf Harmonie, Frieden und Eintracht. Dem Advent wohnt eine Kraft der Hoffnung inne, die uns auf innigste Weise mit dem Geheimnis der Menschwerdung des menschenfreundlichen Gottes in Beziehung bringt.
Dazu fügt es sich gut, dass wir heuer einem außergewöhnlichen neuen Jahr entgegenblicken dürfen: Am Heiligen Abend wird Papst Franziskus in Rom das nächste Jubeljahr eröffnen. Alle 25 Jahre begeht die Kirche ein solches Heiliges Jahr. Für dieses hat der Papst das Motto „Pilger der Hoffnung“ festgelegt. Vielfach wird „Hoffnung“ heutzutage als etwas abgenutzter Begriff angesehen, man spricht lieber von „Zuversicht“ oder „Optimismus“. Gerade jetzt aber wird die Hoffnung nun nicht nur in Bezug auf das Erwarten des Erlösers im Advent das große Thema, sondern auch als Weg hin zur Heiligkeit ins Zentrum gerückt.
Hoffnung ist eine der Kardinalstugenden. Der Apostel Paulus schreibt wiederholt von ihr, er nennt Gott einen „Gott der Hoffnung“ (Röm 15,13); den Glauben beschreibt er als ein „Feststehen in dem, was man erhofft“; von Abraham sagt er, er habe „gegen alle Hoffnung voll Hoffnung geglaubt“.
Dieses Hoffen wider alle Hoffnung ist das Kennzeichen eines Hoffens aus dem Glauben, das ein bloßes Erwarten übersteigt. Es fällt auf, dass Jesus im Evangelium wohl von Glaube und von Liebe spricht – „Glaubt an das Evangelium!“, oder „Wer mich liebt…“ kommt uns da in den Sinn. Von der Hoffnung aber spricht der Menschensohn nicht. Ich deute dies so: In diesen Tagen, wo ein weiteres Mal sich in der direkten Begegnung von Gott und Mensch ein Stück Paradies ereignete, war einerseits die Hoffnung Israels erfüllt – der Messias war, obgleich unerkannt, gekommen. Zugleich lag die Erwartung seiner Wiederkunft noch in der Zukunft. In Jesus war die Hoffnung präsent und real greifbar; mit Johannes dem Täufer könnte man sagen: Sie war Wirklichkeit geworden.
In dieser Form begegnet sie uns auch im Gebet, das Jesus uns hinterlassen hat und das unter den vielen Gebeten der Kirche jenes mit der unmittelbarsten Handschrift Gottes und nicht des Menschen ist: im Vaterunser. Dort beten wir „Dein Wille geschehe!“ – Damit ist nicht allein passives Aushalten gemeint. Hoffnung im Glauben ist wie eine Umarmung – indem man jemanden umarmt, wird man zugleich selbst umarmt. Liebe, die sich aus Hoffnung speist, bleibt offen und empfänglich, sie wird nicht egoistisch und besitzergreifend.
Auch die Welt bedarf dringend der Hoffnung, der Liebe – des Glaubens. Noch immer reißt der Krieg in jenem Land, wo Gott uns begegnete, welches wir das Heilige nennen, täglich Unschuldige in den Abgrund. Noch immer tobt der Angriffskrieg und das Sterben an der Front in der Ukraine geht weiter. Mit dem Umsturz in Syrien ist ein weiteres Fragezeichen im Libretto des Weltgeschehens erschienen, die Antwort bleibt abzuwarten. In unserem eigenen Heim sind wir weiterhin mit tiefen Spaltungen konfrontiert, rundum nehmen Extreme zu und der Versöhnungswille scheint nicht durchzudringen. Man möchte verzweifeln ob alledem.
Doch uns ist Hoffnung gegeben, sie wurde uns vom Himmel verkündet in Bethlehem, sie hat unter uns gewohnt in Jesus, sie bleibt im Glauben und im Gebet wach und gegenwärtig. Lassen wir sie in uns wirken, tragen wir sie in die Welt hinein, die ihrer so dringend bedarf. Wenn wir hoffen, betend hoffen und hoffend beten, wird der Segen nicht ausbleiben.
So wünsche ich allen gesegnete Weihnachten und grüße euch von Herzen!
Euer
+ Franz Lackner
Erzbischof
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