Liebe Schwestern und Brüder,
Papst Franziskus hat sein Pontifikat mit Gebet begonnen. Unmittelbar nach seiner Wahl zum Bischof von Rom rief er der Menge von der Mittelloggia des Petersdoms zu: „Jetzt beginnen wir diesen Weg. (...) Beten wir immer füreinander.“ So bat er dann auch in tiefer Verneigung die Gläubigen, um den Segen Gottes für ihren neuen Bischof zu bitten. Erst dann spendete er der Stadt und der Welt zum ersten Mal den päpstlichen Segen urbi et orbi.
Ohne Gebet, so ist der Papst überzeugt, kann nichts gelingen. Bei der Zusammenkunft der österreichischen Bischöfe mit dem Heiligen Vater anlässlich des Ad-Limina-Besuchs mahnte Franziskus eindringlich und immer wieder: „Betet, betet, betet!“ Bereits der Völkerapostel Paulus forderte die Gemeinde in Thessaloniki auf: „Betet ohne Unterlass!“ (1 Thess 5,17)
Wer im Gebet mit Gott und den Mitmenschen verbunden ist, findet sich in einer Weggemeinschaft wieder, die einander begleitet, einander zuhört und füreinander da ist. Auf diese Weise ist es möglich, miteinander voranzugehen, pilgerndes Gottesvolk zu sein. Diesen Umgang im Miteinander wiederum einzuüben, ist – so scheint mir – eine Notwendigkeit unserer Zeit. Nicht nur der Ruf zu Umkehr, der uns in diesen Tagen der Fastenzeit besonders entgegentritt, erinnert uns daran.
Als Weltkirche haben wir uns vor über einem Jahr gemeinsam auf einen Weg des Betens und der Stille, des offenen Sprechens, des aufeinander Hörens und der Unterscheidung gemacht. Viele Stimmen erklingen seither, manche lauter, manche leiser. Zuletzt haben sich im Rahmen dieses Prozesses Frauen und Männer aus dem ganzen Gottesvolk in Prag versammelt, um für unseren Kontinent der Frage nachzugehen, zu welchen Schritten der Heilige Geist die Kirche im 21. Jahrhundert einlädt.
Dieser Prozess unserer Kirche muss aus dem Gemeinsamen schöpfen, aus der Überlieferung des Glaubens, aus seinem Werden durch die Zeiten. Denn, so sagte einmal Papst Benedikt XVI., das „Hören und Studieren in der Gemeinschaft der Gläubigen aller Zeiten“ stellt einen Weg dar, „der beschritten werden muss, um die Einheit im Glauben zu erreichen, als Antwort auf das Hören des Wortes Gottes“.
Nicht du trägst die Wurzel,
sondern die Wurzel trägt dich (Röm 11,18).
Unser Glaube ist ein gewachsenes, organisches Ganzes. Heute erkennen wir die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen; wir sehen, wie deren Ausbeutung uns als Menschheit vor existentielle Nöte und Herausforderungen stellt. Aber auch mit unserem Glauben müssen wir achtsam umgehen, müssen ihn als das kostbare Gut behandeln, das er ist. In Anlehnung an den ökologischen Fußabdruck möchte ich fragen: Welchen „theologischen Fußabdruck“ werden wir hinterlassen? „Wird (…) der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?“ (Lk 18,8)
Unser Glaube und die Kirche, in der er sich verwirklicht, kann mit einem Baum verglichen werden. „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“, sagt wiederum Paulus (Röm 11,18). Es ist wohl möglich, in einen Baum neue Zweige einzupfropfen. Wurzel und Stamm aber bleiben dieselben, und sie müssen es bleiben, wenn der Baum gesund sein soll.
Zum Wurzelstock, zum Stamm unseres Glaubens zählen die sakramentale Prägung der Kirche und damit auch die Sakramente. Gott selbst wirkt durch sie in unsere Zeit hinein. Durch die Sakramente werden wir zu seinen Kindern, werden gestärkt, finden zueinander; durch sie erwählt er sich Diener unter den Menschen, in ihnen wirkt er heilend als Arzt; durch sie schenkt er sich selbst in der heiligen Messe in der Gestalt von Brot und Wein – und durch sie vergibt er uns immer wieder als gnädiger Vater.
So verwirklicht und konkretisiert sich in diesen Feiern, was wir als Kirche, als Weggemeinschaft in den unterschiedlichen Berufungen sind und sein wollen: Sakrament, Zeichen und Werkzeug für die Vereinigung mit Gott wie auch für die Einheit der ganzen Menschheit (vgl. LG 1).
Liebe Schwestern und Brüder, in dieser Fastenzeit herrschen immer noch Leid und Krieg in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Viele sind hier, in unserem eigenen Haus, von der Armut bedroht. Wir können keine schnelle irdische Lösung erwarten. Wir müssen aber achtsam bleiben, uns nicht an das viele Leid zu gewöhnen. Beten wir also ohne Unterlass, beten wir füreinander und für die ganze Welt – so wie es uns Paulus durch die Zeiten zuruft und wie uns der Heilige Vater bittet. Nutzen wir die Gelegenheit, Gott in den Sakramenten zu begegnen, in der Fastenzeit besonders in jenem der Verzeihung und Versöhnung, der Beichte. Geben wir Gott die Ehre, achten und lieben wir einander, und es wird Friede sein.
Erzbischof Franz Lackner
Aktuelles E-Paper