Liebe Gläubige,
welch Freude, in den Jubelgesang der Kirche einzustimmen. Wie richtet es einen doch auf, in einer Zeit, da Leben und Zusammenleben bedroht scheinen, auf den zu blicken, in dem alles Leben und Sein zusammenläuft, auf den Auferstandenen. Seine Wunden schmerzen nicht mehr, doch er trägt sie so wie er die verwundete Menschheit in die Auferstehung trägt, eine verwundete aber vom Vater geliebte Menschheit.
In den Folgen des Vietnamkriegs kamen posttraumatische Belastungsstörungen erstmals ins Bewusstsein. Traumatische Erlebnisse können seelisch und körperlich tiefe Wunden reißen, aber – und dies wird leicht übersehen – nicht nur bei Opfern oder Augenzeugen, sondern auch bei Tätern. In Kriegen oder anderen Extremsituationen können Menschen Dinge tun, von denen sie meinten, niemals dazu fähig zu sein. Kein in weitestem Sinne gesunder Mensch wächst auf mit dem Wunsch, einmal ein Mörder oder gar ein Kriegsverbrecher zu werden. Doch dann steht man vor den Folgen seiner Tat. Die Erkenntnis, dass man zu jemand geworden ist, der man nie sein wollte, dass man selbst nicht Teil der Guten ist, dass Blut an den eigenen Händen klebt, stürzt Menschen in Verzweiflung, Lähmung, entfremdet sie von sich selbst und untereinander.
Dies ist der traurige Weg der Menschheit – kein Bild zeigt es deutlicher als das biblische – seitdem Kain seinen Bruder Abel erschlug und sich mit den Worten „Bin ich denn der Hüter meines Bruders?“ zu entschuldigen versuchte (Gen 4,9). Man kann sagen: Die Menschheit leidet an einer kollektiven posttraumatischen Belastungsstörung. Wir meinten die Guten zu sein und stehen vor Trümmern. Wir meinten, „für die gute Sache“ dürfe man mehr als sonst, und wurden zu Tyrannen. Es ist dies, was die Kirche „Erbsünde“ nennt, der Zustand einer Welt, in der wir uns danach sehnen, Gutes zu schaffen, und uns doch oft den Tod geben. Es ist ein Netz, aus dem wir aus eigener Kraft nicht entkommen können. Wir sind eine gebrochene, eine verwundete, eine verblutende Menschheit, dem Tod preisgegeben. Wie kann es da weitergehen? Sind wir trotz aller in uns dagegen ankämpfenden Empfindungen unweigerlich verloren? Geboren um zu sterben, um zu verschwinden?
Christus hat uns den Weg geöffnet zur Heilung, er ist
unsere Gegenwart und Zukunft.
„Das mittendurch zerbrochene Bild kann nur von Gott her, vom ‚zweiten Adam aus dem Himmel‘ wiederhergestellt werden. Und die Mitte dieser wiederherstellenden Tat ist notwendig die Bruchstelle selber: Tod, Hades, Verlorenheit in Gottferne“, schreibt Hans Urs von Balthasar in seiner „Theologie der drei Tage“. Es ist wie bei einem zerbrochenen Stück Holz oder Metall, das dort, wo es gebrochen ist, neu verleimt oder verschweißt werden muss. Ein Verband, eine Medizin, gehört auf die Wunde, nicht etwa um den Kopf, wenn das Bein schmerzt.
Die Heilung für eine an ihrer eigenen Fähigkeit zum Bösen krankende Menschheit musste genau an dieser Stelle ansetzen, im Hass und im Tod. In den Gerechten und Heiligen aller Völker und Zeiten und vollends in der Gottesmutter Maria ist das Heilmittel aufgeleuchtet. Maria wollte nicht groß sein, aber sie sagte Ja zum Leben, das Gott durch sie schenken wollte. Jesus nun ist die „ausgestreckte Hand Gottes“ (Karl Heinz Menke) er ist der Kuss Gottes an die Menschheit, die „Planke, die uns rettet vor dem Schiffsbruch dieser Welt“ (Karfreitagshymnus). Und er geht genau in die Bruchstelle hinein, in das Leid, den Spott, den Hass, den Schmerz, den Tod, ja sogar in die Gottverlassenheit. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mt 27,46). Er sollte ausgelöscht werden am Kreuz, er hatte keinen Platz, keine Berechtigung da zu sein. Doch gerade so ist das Heilmittel in die Wunde gekommen, das Leben in den Tod.
Christus hat die Fesseln gesprengt, die eine Geschichte der Gewalt immer fester um uns legte, bis sie uns zu ersticken drohten. Er hat uns den Weg geöffnet zur Heilung, er ist unsere Gegenwart und Zukunft. Durch sein Leben, Sterben und Auferstehen für uns, hat er die Wunden der Menschheit geheilt. An uns ist es nun, selbst heilsame und geheilte Menschen – Heilige – zu werden, indem wir ihm nachfolgen und Menschen der Auferstehung werden; indem wir uns in die Bruchstellen trauen, gestärkt durch Jesus, den Sohn Gottes; indem wir durch ihn Leben in den Tod tragen. Einen anderen Weg als den Weg Jesu gibt es für uns Christen und für die Kirche nicht, das gilt heute wie zu allen Zeiten.
„Halleluja! Kommt ihr Völker, schaut den Hirten, der euch nährt. Ewig grünen seine Weiden, ewig seine Treue währt. Nur bei dem ist Heil zu finden, der den Tod hilft überwinden. Halleluja, Jesus lebt!“
Christus ist auferstanden, Halleluja!
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