RB: Künftig dürfen Frauen bei den Bischofsversammlungen im Vatikan mitbestimmen. Es sollen bis zu 80 Nichtbischöfe ein Mitspracherecht haben – Frauen und Männer paritätisch vertreten sein. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?
Sr. Philippa Rath: Zunächst einmal freue ich mich sehr darüber. Dieser Schritt war hoch an der Zeit, und ich fühle mich mit vielen anderen Frauen darin bestätigt, dass unser Engagement nun erste Früchte trägt. Obwohl diese 80 Laien natürlich eine deutliche Minderheit in der Weltsynode sind. Aber der Schritt ist schon sehr wichtig. Er macht den vielen Frauen, die in der Kirche engagiert sind, Mut.
RB: Wobei der Luxemburger Erzbischof und „Generalrelator“ der Weltsynode Jean-Claude Hollerich erneut betonte: Bei der Bischofssynode im Oktober in Rom wird es nicht um Frauenordination gehen.
Sr. Philippa Rath: Ja, das stimmt, aber wir dürfen die Dynamik eines solchen Prozesses nicht unterschätzen. Natürlich soll es zunächst um das Thema Synodalität gehen. Ich bin aber überzeugt, dass das Frauenthema zumindest indirekt mit auf der Agenda landen wird. Es wird nicht mehr vom Tisch verschwinden bis sich grundlegend etwas ändert. Denn Geschlechtergerechtigkeit ist aus meiner Sicht die Zukunfts- und Existenzfrage unserer Kirche. Immerhin sind 52 Prozent aller Gläubigen in der katholischen Kirche Frauen. Die Mehrheit der Arbeit leisten die Frauen. Das steht in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu ihrem Anteil an der Verantwortung.
RB: Die katholische Kirche ist Weltkirche. Wie mehrheitsfähig ist die Forderung nach Weiheämtern für Frauen?
Sr. Philippa Rath: Wenn Sie das Arbeitsdokument der Weltsynode lesen, wird deutlich, dass das Thema Frauen in der Kirche in allen Kontinenten präsent ist. Ich selbst bin in verschiedenen internationalen Netzwerken aktiv. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass Frauen in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten dieselben Wünsche, Erwartungen und Forderungen haben. Natürlich in unterschiedlicher Gewichtung. Es gibt nicht überall die Forderung nach dem Frauenpriestertum, wohl aber den gemeinsamen Wunsch nach einem sakramentalen Frauendiakonat.
Die Kirche ist wie ein riesiges Schiff. Bis so ein Schiff wendet, das dauert.
RB: Wie sehr sehen Sie den Papst dabei noch als Hoffnungsträger?
Sr. Philippa Rath: Papst Franziskus ist ein typischer Jesuit, der immer alle Seiten genau betrachtet und gründlich abwägt. Ich glaube, im Grunde seines Herzens ist er ein Reformer. Er kann aber nicht alles tun, was er möchte, denn es gibt starke Gegenkräfte. Aber ich finde es äußerst klug und weitsichtig, wie er jetzt die Weltsynode umsetzt. Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Kirche findet ein solcher Prozess statt. Das ist einmalig und ein großer Schritt nach vorn. Wobei die Synoden meines Erachtens künftig mit Bischöfen, Laien, Frauen und Männern gleichberechtigt besetzt werden müssten. 80 Laien ist eine stattliche Zahl, aber eben immer noch eine deutliche Minderheit.
Auch dürfen wir nicht vergessen, dass die Weltsynode ja nur ein beratendes Organ ist. Sie entscheidet nicht, der Papst entscheidet. Unsere Kirche ist wie ein riesiges Schiff. Bis sich so ein Schiff wendet, das dauert. Wir müssen einen langen Atem haben. Wir bohren extrem dicke Bretter. Doch wir bohren. Das ist das Entscheidende.
RB: „Weil Gott es so will – will Gott es so?“ ist der Titel der diesjährigen KATHARINAfeier in Salzburg. Was steckt dahinter?
Sr. Philippa Rath: „Weil Gott es so will“ ist der Titel des Buches, in dem Frauen, die eine Berufung zum Diakonat oder zum Priestertum haben, ihre Erfahrungen schildern. Alle diese Frauen haben irgendwann in ihrem Leben gewusst: Gott will es so. Gott beruft mich zu diesem Dienst. Das kann ich gut verstehen, weil ich auch einen Ruf gehört habe, vor inzwischen fast 35 Jahren. In einem ganz konkreten Moment wusste ich: Gott will es so, du musst diesen Schritt ins Kloster wagen.
„Will Gott es so?“ ist die zweite Frage. Wir erleben derzeit vielleicht die größte Kirchenkrise seit der Reformation. Wir haben einen ungeheuren Autoritäts- und Glaubwürdigkeitsverlust der Bischöfe und eine Austrittswelle bisher unbekannten Ausmaßes. Vielleicht brauchen wir diesen Absturz, damit Neues wachsen kann. Die alten Strukturen der Kirche gehen unaufhaltsam zugrunde. Gleichzeitig beobachte ich aber, dass Hoffnungsvolles entsteht. Menschen vernetzen sich, Hauskirchen entstehen, Gruppen – zumeist initiiert von Frauen – treffen sich zu Gebet, Meditation, Wortgottes- und Mahlfeiern, zu sozialem und ökologischem Engagement. Eine neue Art von Kirche bildet sich da, die der Urkirche nicht unähnlich ist. So hat es einmal angefangen. Das birgt für mich ein großes Hoffnungspotenzial. Graswurzelbewegungen keimen auf, die eine neues Bild von Kirche für die Zukunft entwerfen. Ja, ich bin überzeugt, dass Gott das so will.
Vielleicht braucht es manchmal Trümmer und Ruinen, um den Blick für den Himmel, für Gott, wieder frei zu bekommen. In diesem Prozess sind wir gerade. Ich kenne viele Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind. Ich sehe, wie sie ernsthaft bemüht sind, Gott neu zu suchen und ein authentisches christliches Leben zu führen. Denn ihren Glauben haben sie keineswegs verloren, wohl aber ihr Vertrauen in die Kirche. Unsere Klöster wären eigentlich prädestiniert, diesen Menschen Ankerplätze und eine geistliche Heimat auf Zeit zu bieten.
RB: Heilige sind Vorbilder und können Orientierung geben: Was würde Hildegard von Bingen zur Kirche von heute sagen in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit oder Katharina von Siena?
Sr. Philippa Rath: Die heilige Hildegard ist unsere Klostergründerin. Ich habe mich viel mit ihr beschäftigt, denn ich war 2011/12 Postulatorin im Heiligsprechungs- und Kirchenlehrererhebungsverfahren. Sie inspiriert mich immer neu. Sie war nicht nur eine prophetische Frau, sondern eine starke charismatische Persönlichkeit, die in Kirche und Welt ihrer Zeit (12. Jahrhundert) sehr viel bewegt hat. Wobei – das muss man ehrlich sagen – für Hildegard das Priesteramt der Frau jenseits ihres Denkhorizontes lag.
Heute würde sie womöglich anders denken. Sie war Äbtissin zweier Klöster und hat den Spielraum ihres Amtes weit ausgeschöpft. Sie hat als erste Frau weibliche Gottesbilder verwendet, hat neue Formen der Liturgie eingeführt, Laienbeichte gehört und Kranke gesalbt. Und sie hat öffentlich gepredigt. Wenn man die Bußpredigt, die sie damals dem Klerus von Köln hielt, heute vorlesen würde, so würde man feststellen, dass sie genau ins Schwarze traf, damals wie heute. Sie war ihrer Zeit weit voraus. Katharina von Siena war ebenfalls sehr unbequem und unbeugsam. Beide sind große Vorbildgestalten.
Wir sind keine Sekte. Weite und Offenheit gehören für mich zum Katholisch-Sein dazu.
RB: In Ihrem Buch „Weil Gott es so will“ berichten Frauen von ihrer Berufung. Haben Sie jemals persönlich die Berufung zur Priesterin oder Diakonin gespürt?
Sr. Philippa Rath: Nein, nie. Ich konnte meine Berufung, die Ordensberufung – ich wollte immer Benediktinerin werden –ungehindert leben. Deshalb kann ich die Frauen vielleicht auch so gut verstehen. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre gezwungen worden, etwas anderes zu tun, hätte mich das genauso geschmerzt wie diese Frauen, die nur aufgrund ihres Geschlechtes ihre Berufung nicht leben können. Inzwischen könnte ich übrigens ein zweites und drittes Buch mit Berufungszeugnissen von Frauen herausgeben, denn es haben sich unzählige weitere Frauen gemeldet, auch hier aus Österreich.
RB: Was können Sie Frauen mitgeben, die sich an Sie wenden?
Sr. Philippa Rath: Ich ermutige sie, offen zu ihrer Berufung zu stehen und lade sie in unser Netzwerk ein. Dieses ist ungemein stärkend und ermutigend für die Frauen. Denn fast alle dachten, sie wären einsame Exotinnen. Die meisten haben ihre Berufung für sich behalten, weil sie ausgelacht und ausgegrenzt wurden. Nun merken sie, dass sie nicht alleine sind. Ich bin überzeugt, dass diese persönlichen Berufungszeugnisse mehr erreicht haben als die theologischen Argumente, die ja seit Jahrzehnten auf dem Tisch liegen. Viele, auch Bischöfe, haben öffentlich bekannt, dass sie ihr Denken deutlich verändert haben durch die Lektüre des Buches. In Deutschland haben sich sogar mehrere Bischöfe mit den Frauen aus ihrer Diözese, die im Buch schreiben, getroffen. Das war ein ganz wichtiger Schritt für den Bewusstseinswandel.
RB: Wir sind am Beginn des Marienmonats Mai. Wie sieht Ihr Marienbild aus? Hat es sich verändert?
Sr. Philippa Rath: Ich stamme aus einer klassisch rheinisch-katholischen Familie. Da gehörte die Marienverehrung ganz selbstverständlich dazu. Im Studium bin ich dann auf ein kleines Buch von Karl Rahner und Marianne Dirks mit dem Titel „Die andere Maria“ gestoßen. Sie stellen die prophetische, ja auch die ein Stück weit revolutionäre Seite Mariens dar. Das hat mein Bild deutlich verändert. Heute haben wir in Deutschland zwei Bewegungen in der Kirche, die Maria im Namen haben: Maria 1.0 steht für das klassische Marienbild – Maria als demütige und dienende Magd. Maria 2.0 beruft sich auf die selbstbewusste, prophetisch-revolutionäre Maria. Mein Marienbild geht inzwischen eher in diese zweite Richtung.
Wobei mir sehr wichtig ist, dass wir lernen, verschiedene Erfahrungen und Denkweisen nebeneinander stehen zu lassen, auch die verschiedenen Bilder von Maria. Weite und Offenheit gehören für mich zum Katholisch-Sein dazu. Wir sind keine Sekte. Deshalb dürfen wir Einheit nicht mit Einheitlichkeit verwechseln. Es muss nicht alles uniform sein. Auch in der Frauenfrage muss es möglich sein, in Teilen der Weltkirche Schritte zu gehen, die andere vielleicht nicht oder noch nicht mitgehen können. Einheit in Vielfalt, das ist mein Traum von einer Kirche der Zukunft. Daran möchte ich mitarbeiten.
Feier für Patronin der Frauen
Die KATHARINAfeier an der Theologischen Fakultät in Salzburg gibt es seit den 1970er Jahren – im Gedenken an Katharina von Siena. Mit wenigen Unterbrechungen fand sie immer rund um den Festtag der Kirchenlehrerin und Patronin der Katholischen Frauenbewegung am 29. April statt. Vorbereitet wird die KATHARINAfeier von Studentinnen, Mitarbeiterinnen und Professorinnen der Theologischen Fakultät gemeinsam mit der Katholischen Frauenbewegung der Erzdiözese Salzburg. Seit 1990 wird feministische Theologie so an der Universität Salzburg sichtbar gemacht und immer wieder neu gedacht.
Sr. Philippa Rath war heuer Vortragende der KATHARINAfeier. Sie ist Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen. Vor ihrem Eintritt hat sie als Redakteurin und Lektorin gearbeitet. Im Orden ist sie für die Klosterstiftung Sankt Hildegard verantwortlich, für den Freundeskreis der Abtei und für Medienarbeit. Sie ist geistliche Begleiterin der kfd-Gruppe Bingen und war Delegierte im deutschen Synodalen Weg. 2019 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Die Ordensfrau ist Herausgeberin des Buches „Weil Gott es so will“. Darin erzählen Frauen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin. ISBN: 978-3-451-39153-8.
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