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André Karipuna bringt es schnell auf den Punkt: „Ich werde bedroht, kann nicht weit weg aus dem Dorf“, sagt der Kazike der indigenen Dorfgemeinschaft der Karipuna in Amazonien. „Seit Jahren haben wir mit Landraub und Holzdiebstahl zu kämpfen, nichts hat sich geändert.“
Die kleine indigene Gemeinde am Ufer des Formoso-Flusses liegt rund 100 km südlich von Porto Velho, der Hauptstadt des Bundesstaates Rondonia. 1998 wurden rund 150.000 Hektar als „Terra Protegida“ und somit indigenes Schutzgebiet für die Karipuna ausgewiesen. Um dorthin zu kommen durchquert man riesige abgeholzte und in der Trockenzeit versteppte Flächen, auf denen weiße Rinder weiden. Nichts würde auf Amazonien schließen lassen. Der Regenwald beginnt erst im indigenen Schutzgebiet. „Wir sind umzingelt von 40.000 Rindern,“ beschreibt der junge Kazike die Situation an der Agrofront, die stets weiter nach Norden vordringt. Sie folgt dem immer gleichen Muster: Holzfäller schlagen illegal Tropenhölzer für den Export, dann kommen die Rinder um nach ein paar Jahren extensiver Rinderzucht mit dem Sojaanbau zu beginnen. Den Profit kassieren private Agrokonzerne ein. Die Schäden an Boden und Klima bleiben den Indigenen.
In der Verfassung von 1988 sind die Rechte der indigenen Völker verankert – zum ersten Mal in der rund 500-ährigen Geschichte des heutigen Brasiliens. Dass es dazu kam, hat auch mit dem großen Engagement von Bischof Erwin Kräutler zu tun.Er war Präsident von Cimi, dem Rat für die indigenen Völker der brasilianischen Bischofskonferenz. Unterstützung für Kräutler kommt seit langem von Sei So Frei, der entwicklungspolitischen Organisation der Katholischen Männerbewegung.
Die brasilianische Verfassung schützt die Rechte der indigenen Völker. Die Realität zeigt: Das ist mehr Schein als Sein.
Doch die Realität ist ernüchternd. Die bescheidene Zahl indigener Gebiete mit rechtlicher Absicherung, wie jenes der Karipuna zeigt, dass in all den Jahren die indigene Frage den Regierungen kein Anliegen war. Unter dem irrlichternden Präsidenten Bolsonaro wurde geradezu zum Generalangriff auf die indigenen Völker geblasen.
Mit dem Regierungsantritt von Luis Inácio Lula da Silva im Jänner 2023 keimte neue Hoffnung. Bisher wurde sie nicht erfüllt. Lula hat mit seiner Partei keine Mehrheit im Parlament erzielen können. Er ist somit auf Allianzen angewiesen. Die Indigenen befürchten, erneut Opfer politischer Deals zu werden, die dem politischen Machterhalt dienen.
Brasilien ist 2025 Gastgeber der UNO-Klimakonferenz. Diese wird im amazonischen Belem tagen. Die planetarische Bedeutung des größten Regenwaldes steht in der Klimafrage außer Zweifel. Vor diesem Hintergrund ist die Ankündigung zu verstehen, dass Brasilien indigene Gebiete im Umfang von 3,8 Mio. Hektar demarkieren lassen wird. Umweltministerin Marina Silva plant nochmals dieselbe Fläche unter Umweltschutz zu stellen. Ankündigungen werden aber nicht reichen.
Wolfgang Heindl/ibu
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