Ich war auf einer spirituellen Suche. Dabei hätte ich nie gedacht, dass ich in einem christlichen Kloster lande. Das sagt der in Berlin geborene und in der Schweiz aufgewachsene Pater Jens Petzold. Der Mönch leitet seit 2011 die kleine Klostergemeinschaft Deir Maryam Al-Adhra (Kloster der Jungfrau Maria) in Sulaimaniyya im irakischen Kurdistan, nicht weit von der iranischen Grenze entfernt. Neben dem Gebet wird der Bildung, der Flüchtlingsarbeit und vor allem dem christlich-islamischen Dialog viel Raum gegeben.
RB: Wie sah Ihr Weg aus, der Sie in den Nahen Osten führte?
Pater Jens Petzold: Ich bin Kaufmann und habe in einer Buchhandlung und einem Industriebetrieb gearbeitet. Dann war ich Postbeamter, bevor ich mich entschied, in den Nahen Osten zu gehen. Meine Familie sind alte Sozialisten aus Berlin und die Kirche war nie ein Thema für uns. Bei mir wuchs irgendwann das Interesse an fernöstlichen Religionen, an Zen-Buddhismus. Ich war auf einer spirituellen Suche und hätte nie gedacht, dass ich bei den Christen lande.
RB: Angekommen und geblieben sind Sie im syrischen Wüstenkloster Dair Mar Musa al-Habaschi.
Pater Jens Petzold: Bei meinem ersten Besuch im Kloster Mar Musa sagte Pater Paolo Dall´Oglio (der Gründer) zu mir: „Ich sag dir nicht auf Wiedersehen, weil du ja wieder kommst.“ Und so war es auch – nach ein paar Monaten kam ich wieder. Pater Paolo lud mich zu spirituellen Exerzitien ein und schließlich blieb ich ein Jahr als Volontär. Es war eine Gemeinschaft von Mönchen und Nonnen aus verschiedenen Ländern. Nach diesem Jahr, es war im Februar 1996, fragte ich Pater Paolo nach der Taufe. Er meinte: „In zwei Wochen ist Ostern, machen wir das in der Osternacht.“
Wieder in Europa, in der Schweiz und Deutschland merkte ich, dass ich zurück nach Mar Musa und Mitglied der Gemeinschaft werden wollte. Was mich anzog war die Gastfreundschaft und die Offenheit gegenüber anderen Religionen. Das drückt sich in einer Neugierde aus, in einem Wissen wollen, was ist die Erfahrung des anderen mit Gott. Wie ist sein Weg mit Gott, wie erfährt er Gott in seinem Leben? Das hat mich fasziniert. Heute arbeite ich viel mit Muslimen zusammen. Alle zwei Wochen diskutieren wir am Frühstückstisch über religiöse Themen.
RB: Wie kamen Sie dann in den Nordirak?
Pater Jens Petzold: Der Erzbischof von Kirkuk bat um Hilfe für eine alte Pfarrkirche in Sulaimaniyya im Irak. 2011 begann ich dort zu leben und zu arbeiten. Die ersten zwei Jahre vergingen mit Reparaturen. Dann fiel im August 2014 die Terrormiliz IS in die Ninive-Ebene ein. Viele vertriebene Jesiden kamen in unsere Gemeinde.
RB: Wie konnten Sie den Flüchtlingen helfen?
Pater Jens Petzold: Unsere Kirchengemeinde aus 1.300 Mitgliedern leistete Enormes. Anfangs waren es 5.000 Flüchtlinge, die wir versorgten. In ganz Kurdistan waren es zwei Millionen Vertriebene bei fünf Millionen Einwohnern. So etwas wäre in Europa nicht möglich. Die ICO (Initiative Christlicher Orient) war die erste Organisation, die uns angerufen und gefragt hat, ob wir Hilfe brauchen. Wir organisierten Matratzen und andere Hilfsgüter. Doch schon bald merkten wir, es gibt ein Kommunikationsproblem. Es sind viele arabisch sprechende Menschen in Sulaimaniyya, die kein kurdisch sprechen. Die Kurden können nicht mehr so gut arabisch wie früher. Unsere Idee: Wir möchten etwas tun, um den Kommunikationsgraben kleiner zu machen. Wir begannen Sprachkurse für Kurdisch, Arabisch und auch Englisch anzubieten, um die Kommunikation zwischen verschiedenen Gruppen zu verbessern.
RB: Welche Aufgaben haben Sie aktuell?
Pater Jens Petzold: Heute liegt unser Fokus auf jungen Erwachsenen. Mir ist wichtig, dass sie informierte Entscheidungen treffen können – sei es über ihre Zukunft im Irak oder anderswo. Sie müssen auch die Prob-leme sehen. Europa braucht „nützliche“ Menschen. Ich sage ihnen: Wenn ihr nicht nützlich seid, habt ihr Schwierigkeiten. Nehmen wir die Schweiz, die ist sehr klar: Für Doktoranden ist die Aufnahme einfach. Aber wenn jemand nichts kann, ist es schwer. Das gilt auch für Christen im Nahen Osten: Wenn wir als Minderheit nicht nützlich sind, können wir nicht erwarten, dass die Gesellschaft sich für uns einsetzt. Die Christen müssen ihren Platz in der Mittelschicht verteidigen als gute Lehrer und Ärzte oder Facharbeiter. Wenn sie nur kosten, fehlt der Gesellschaft die Motivation ihnen zu helfen, da kann man noch so viel über Moral und Menschenrechte reden.
RB: Haben die Christen im Nahen Osten eine Zukunft?
Pater Jens Petzold: Ganz sicher. Wenngleich die Zahl weiter abnehmen wird. Ich denke, wir müssen uns noch mehr auf eine bescheidene Phase vorbereiten und uns noch mehr für den Aufbau des Landes einsetzen. Unser Bischof macht viel für die Christen. Doch sobald es um soziale Projekte geht, sind sie für alle. Das ist die richtige Haltung. Die Kirche muss für alle offen sein, ohne dabei ihre eigene Spiritualität zu verlieren. So leben wir in unserem Kloster. Der Bischof sagt: „So einen Ort der Begegnung gibt es im Irak nirgendwo anders.“
Wissenswert
Das Hilfswerk ICO (Initiative Christlicher Orient) hat im vergangenen Jahr rund 1,1 Millionen Euro für Hilfsprojekte im Nahen Osten aufgewendet. Das geht aus dem Jahresbericht 2023 hervor. 23 Prozent der Hilfsmittel flossen in Schul- und Bildungsprojekte, 18 Prozent in Winternothilfe, 14 Prozent in Hilfe nach dem verheerenden Erdbeben vom Februar 2023 in Syrien und der Türkei, 13 Prozent in Nahrungsmittelhilfe, der Rest in weitere Sozialprojekte. Die Hilfe kommt Christen und/oder Muslimen zugute. Die Projektpartner sind stets christliche Einrichtungen oder Kirchen.
Neben der Hilfe vor Ort ist die Information über den Nahen Osten die zweite Hauptaufgabe der ICO. Vor kurzem lud das Hilfswerk zu seiner traditionellen Jahrestagung nach St. Virgil in Salzburg. Heuer lautete das Thema: „Irak – Quo vadis?“ Pater Jens Petzold war einer der Referenten.
Bis 2003 lebten noch bis zu 1,5 Millionen Christen im Irak. Heute sind es nach den optimistischsten Schätzungen 400.000. 90 Prozent davon leben im Nordirak in Kurdis-
tan oder der westlich davon gelegenen Ninive-Ebene.
Der Irak-Experte und österreichische Politikwissenschafter Thomas Schmidinger zeigte sich im Kathpress-Interview am Rande der Tagung grundsätzlich optimistisch, dass die christliche Minderheit im Irak eine Zukunft hat. Voraussetzung dafür sei freilich Stabilität im Land. Derzeit sei es beispielsweise in der irakischen Hauptstadt Bagdad sehr sicher, dafür aber nicht im Nordirak in der Grenzregion zur Türkei. Die Türkei gehe dort militärisch gegen die PKK vor. Für die örtliche Bevölkerung in den teils christlichen Dörfern sei das natürlich eine immense Belastung, so Schmidinger, der derzeit in der nordirakischen Stadt Erbil forscht und lehrt.
Infos unter: christlicher-orient.at
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